Aktuell studieren rund 2,76 Millionen Studenten in Deutschland. Unter so vielen Wissenschaftsanwärtern müssten sich doch leicht Nachfolger für bald in Ruhestand gehende Professoren finden. Das zumindest sollte man meinen. Doch dem ist nicht so. Insbesondere in der Postdoc-Phase, das ist die Zeit nach der Promotion, springen Talente scharenweise ab. Würde Employer Branding an der Hochschule und der Uni helfen?
Geht der Wissenschaft bald der Nachwuchs aus? Trotz steigender Studierendenzahlen können Universitäten und Hochschulen nicht immer aus den Vollen schöpfen, wenn es um die Berufung junger Professoren geht. Das liegt mitunter daran, dass Hochschulen es versäumen, für sich als attraktiver Arbeitgeber zu werben. Während Arbeitgeber in der Wirtschaft die Bedeutung eines guten Employer Branding für die Personalbeschaffung mehr und mehr für sich zu schätzen wissen, ist dieser Trend noch nicht an Hochschulen und Unis angekommen.
Dafür gibt es auch einen guten Grund. Das Personalbeschaffungs- und Einstellungssystem ist ein völlig anderes als das der freien Wirtschaft. Angehende Wissenschaftler haben mit großen Hürden und Unsicherheiten zu kämpfen. Wie soll man so etwas bewerben?
Große Hürden für angehende Wissenschaftler
Wohl die meisten Postdoktoranden bräuchten nur zwei Worte, um die Zeit zwischen Promotion und Habilitation zu beschreiben: Unsicher und prekär. Der Hintergrund: Viele von ihnen hangeln sich von einem befristeten Arbeitsvertrag zum nächsten. Hinzu kommen langwierige Berufungsverfahren. Bis zu zwei Jahre kann es dauern, bis Nachwuchswissenschaftler wissen, wie es mit ihrer Karriere weitergeht und ob sie einen Ruf als Professor erhalten oder nicht.
Zum Vergleich: In der freien Wirtschaft werden Bewerber bereits nach ein paar Wochen unruhig, wenn sie von einem Arbeitgeber keine Rückmeldung erhalten. Viele von ihnen springen ab, wenn sie länger nichts hören und wenden sich einer anderen Stelle zu. Auswahl gibt es ja genug.
Angehende Professoren müssen lange auf eine Karrierechance warten
Diesen Luxus haben angehende Wissenschaftler in dieser Form nicht. Denn Professoren-Stellen werden deutlich seltener ausgeschrieben und somit ist die auch Auswahl für Bewerber deutlich geringer. Und selbst, wenn sie sich bei einer anderen Hochschule bewerben würden: Sie müssten mit der gleichen Wartezeit rechnen.
Schuld daran sind häufig Leerlaufphasen im Berufungsprozess. Nicht immer nutzen Berufungskommissionen zum Beispiel auch die vorlesungsfreie Zeit zur Entscheidungsfindung, sondern tagen nur während der Semester. Das führt zu erheblichen Verzögerungen. Auch werden Sitzungstermine manchmal unklar abgestimmt und müssen deshalb immer wieder verschoben werden. Manchmal hängt es auch an Gutachten, die über Bewerber eingeholt werden. Doch niemand hakt nach, wenn diese ausbleiben.
Existentielle Zitterpartie für angehende Wissenschaftler
Für die Betroffenen ist diese Zeit eine existentielle Zitterpartie. Denn: Bleibt der Ruf aus, stehen die Chancen nicht besonders gut, in der Wirtschaft Fuß zu fassen. Dazu haben sie zu wenig Berufserfahrung im „echten“ Berufsleben gesammelt. Allzu oft bleibt nur noch der Gang zum Arbeitsamt.
Genau aus diesem Grund fasst so mancher Hochschulabsolvent eine Universitätslaufbahn von vornherein nicht ins Auge. Und so stehen für die wenigen Professorenstellen, die es gibt, immer weniger Talente zur Verfügung. Der Gang in die Wirtschaft ist für viele Studierende aber deutlich verlockender. Hier konkurrieren zig Arbeitgeber um die Wissensträger mit nie dagewesener Hartnäckigkeit. In fast allen Branchen mangelt es an Fachkräften. Manche Unternehmen werben junge Talente manchmal schon im Hörsaal ab.
Employer Branding in der freien Wirtschaft
Im Wettbewerb um Talente tun Unternehmen alles, um sich im Rahmen ihres Employer Branding als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren. Eingehende Bewerbungen werden zum Beispiel schnellstmöglich beantwortet, Gespräche mit Kandidaten finden auf Augenhöhe statt und auch die Erstattung der Anfahrtskosten nach einem Bewerbungsgespräch gehört zum Usus.
Nach der Einstellung winken gute Karriereaussichten, angemessene Gehälter, Work Life Balance Angebote, eine gute Unternehmenskultur – alles, worauf es Bewerbern ankommt. Natürlich tun Arbeitgeber all das nicht aus Gutmenschentum. Dahinter steckt eine klare Rechnung: Je besser der eigene Ruf, umso größer die Chance, im leer gefegten Arbeitsmarkt die Besten für sich zu gewinnen.
Universitäten und Hochschulen müssen sich besser vermarkten
Universitäten geht auf diese Weise Jahr für Jahr eine Unzahl höchst qualifizierter Anwärter für eine Wissenschaftskarriere durchs Netz. Hinzu kommt, dass sich Hochschulen Konkurrenz im eigenen Haus machen: Die Bande zwischen Uni und Wirtschaft sind enger denn je und so sprechen Professoren immer häufiger Empfehlungen aus, welcher ihrer Studenten sich am besten für einen Managementposten eignet.
Gerade für Absolventinnen ist das interessant. Für sie gestaltet sich die Karriere-Situation an Hochschulen nämlich noch einmal kniffliger als bei ihren männlichen Kollegen. Abgesehen von der Ungewissheit in der Postdoc-Phase steht für sie später auch die Gründung einer Familie auf der Kippe.
Work Life Balance in der Wissenschaft?
Denn Privates und Wissenschaftskarriere sind praktisch unvereinbar. Von flexiblen Arbeitszeiten, Teilzeitangeboten, Home-Office oder Betreuungsmöglichkeiten für Kinder können Wissenschaftlerinnen oft nur träumen. Im Gegensatz zur Wirtschaft ist die Welt der Wissenschaft hier noch recht traditionell geprägt.
Nicht grundlos zählt Deutschland im europäischen Vergleich zu den Ländern mit der niedrigsten Professorinnenquote. Zu diesem Ergebnis kommt das Projekt „Chancengleichheit in der Postdoc-Phase in Deutschland“ des Forschungsclusters Hochschule und Bildung der Stiftung Universität Hildesheim. Auch hieraus ergäbe sich kein Employer Branding-Argument für Universitäten und Hochschulen.
Employer Branding: Bitte authentisch!
Fazit: Alles in allem stünde Unis ein besseres Arbeitgeberimage nicht schlecht. Allerdings fruchten die dafür notwendigen Employer Branding-Maßnahmen nur, wenn sie auch authentisch sind. Dazu müsste sich die Arbeitskultur an Universitäten und Hochschulen aber grundlegend wandeln.
Allem voran bedürfte es einem Plus an Sicherheit in der Lebensplanung und einer besseren Vereinbarkeit von Leben und Beruf. Neben vielen weiteren Punkten bedürfte es aber auch einem moderneren Verständnis von Führung. Während in der Wirtschaft Hierarchien nach und nach abgeschafft werden und man zunehmend auf Augenhöhe miteinander kommuniziert, halten viele Hochschulen am klassischen hierarchischen Duktus fest.
Doch junge Talente sind heute anders sozialisiert: Sie kennen die Wir-oben-und-ihr-unten-Mentalität nicht. Für sie ist vieles seit frühester Kindheit sehr gleichberechtigt gelaufen. Im Elternhaus, im Kindergarten und in der Schule. Experten fordern daher: Professoren sollten ihre Führungskompetenz weiterentwickeln und sich klar machen, wie wichtig regelmäßiges Feedback und wertschätzende Kommunikation für die Motivation ihrer Mitarbeiter ist.
Ist die Kehrtwende eingeläutet?
Die gute Nachricht: Es gibt erste kleine Anzeichen, dass Hochschulen erkennen - wenn auch nicht unter dem Stichwort Employer Branding -, dass gute Beschäftigungsbedingungen für ihre Mitarbeiter zunehmend wichtig sind. Dafür spricht eine Reihe bereits angestoßener Bemühungen. Stärkere Entfristungen der Mitarbeiterverträge etwa oder der direkte Abschluss unbefristeter Verträge, eine Straffung und Professionalisierung der Berufungsverfahren bis hin zur Schaffung einer Willkommenskultur sowie finanziell vom Bund und den Ländern unterstützte Angebote für wissenschaftliche Mitarbeiter in Karrierefragen. Langsam, sehr langsam kommt der Employer Branding-Stein an Unis und Hochschulen also ins Rollen.