Das Schreckgespenst des Fachkräftemangels geistert seit einiger Zeit durch die Fachwelt. Kaum eine Berufsgruppe scheint davon nicht betroffen. Immer häufiger hört man das Klagen von Fachverbänden und Unternehmern, dass deutsche Fachkräfte Mangelware sind.
Doch wie verhält es sich tatsächlich mit dem von vielen angeprangerten Umstand und was können Unternehmen und deren Personaler tun, um der scheinbar schwindenden Ressource Facharbeitskraft zu begegnen.
Der Ist-Zustand
In einer im November 2015 vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln veröffentlichten Studie, geht Sebastian Bußmann dezidiert in seiner Analyse des deutschen Arbeits- und Ausbildungsmarktes auf das Thema ein. Seiner Untersuchung zufolge herrscht heute in 53 der 285von ihm analysierten Berufsgruppen ein Fachkräfteengpass (Zahl der registrierten Arbeitslosen im Zielberuf reicht nicht aus, die offenen Stellen zu decken). Das ist fast jede fünfte Berufsgruppe!
Allein 38 dieser Berufsgruppen entstammen den Feldern „Gesundheit, Soziales und Bildung“, „Bau- und Gebäudetechnik“, „Energie, Elektro und Mechatronik“, „Metall“ sowie „Logistik und Sicherheit“. Dabei ist der Trend hin zu einer noch größeren Schere zwischen offenen Stellen und entsprechendem Fachpersonal steigend und das über weit mehr Berufsgruppen hinweg.
Maßnahmen und Probleme
40 der 53 Berufsgruppen fallen in Berufe nach der dualen Ausbildungsverordnung, so Bußmann. Das bedeutet, hier können Unternehmen aktiv im Sinne ihrer Personalpolitik gegensteuern – durch die Erhöhung ihres Ausbildungsplatzangebotes.
Das Problem: Unternehmen fällt es zunehmend schwerer ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. So recht sich hier das über viele Jahre durch Unternehmen eher stiefmütterlich betrachtete Handlungsfeld der Nachwuchsbildung spürbar und trifft mit dem Umstand sowohl gewandelter demografischer Verhältnisse als auch gewachsener Ansprüche der jungen Generation an Ausbildungs-, Arbeits- und Karrierewege zusammen. Rückläufige Jahrgangszahlen der Schulabgänger, steigender Akademisierungstrend (73 Prozent der Abiturienten haben 2012 sechs Monate nach Abschluss ein Studium begonnen) und beschränkte Azubi-Mobilität sind nur einige Stichworte, die diese These untermauern.
Im Jahr 2014 blieben beispielsweise 19,1 Prozent aller Ausbildungsplätze im Berufsfeld „Lebensmittel“ unbesetzt. Ähnlich verhielt es sich in den Branchen „Verkauf und Touristik“ (11 Prozent) und „Bau- und Gebäudetechnik“ (7,7 Prozent). Dieser Trend ist auch in anderen Berufsgruppen nachvollziehbar – und alarmierend!
In den 40 angesprochenen dual ausgebildeten Berufsgruppen konnten im Jahr 2015 rund 9.600 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden, das ist eine Steigerung um fast 100 % im Vergleich zu 2011, so Bußmann. Nichtsdestotrotz haben die Unternehmen mit einer „Ausbildungsoffensive“ reagiert und ihre Anstrengungen in diesem Bereich ausgebaut. Erste Erfolge sind sichtbar: So zwar mehr Ausbildungsplätze besetzt werden. Aber von einer Trendwende kann man nicht sprechen. Insbesondere starken regionalen Schwankungen in Fachkräfteengpässen ist durch ein gesteigertes Ausbildungsplatzangebot nur schwerlich beizukommen, wenn es einfach nicht genügend passende Bewerber in der Region für die ausgeschriebenen Stellen gibt.
Ungehobene Schätze
Arbeitgeber sind schlichtweg mehr und mehr gefordert, sich als attraktiv und innovativ zu positionieren und im Zweifelsfall überregionale Rekrutierungswege zu beschreiten. Die Unterstützung bei der Wohnungssuche (Stichwort betreute Unterbringung) kann ein Weg sein, den beschränkten Mobilitätswillen der potentiellen Auszubildenden zu durchbrechen. Der Aufbau einer starken Arbeitgebermarke (Employer Branding) sollte auch für kleinere Unternehmen nicht mehr länger eine Frage des ob sein!
Außerdem sollten Bewerberpotenziale genutzt werden, die bisher nur zaghaft und vereinzelt von findigen Unternehmen angesprochen werden: Die heterogene Gruppe der Studienabbrecher, leistungsschwächerer Schüler, Menschen mit Behinderung oder aber Abiturienten ist eine Zielgruppe für Ausbildungskampagnen, um die sich Unternehmen und Personaler stärker bemühen sollten. Auch das Potenzial der vielen motivierten und jungen Flüchtlinge sollte nicht unterschätzt werden. Die Analyse des Bestandswissens und gezielte Förderung der deutschen Sprachkenntnisse bedeutet zwar einen möglicherweise höheren Investitionsbedarf, bietet aber auch die Chance auf eine belastbare Arbeitgeber-Arbeitnehmerbeziehung.
Nicht zuletzt: Es ist schon ziemlich verwunderlich, dass man im 21. Jahrhundert noch darauf hinweisen muss, dass viele Berufszweige mit einem eklatant niedrigen Frauenanteil zu Buche schlagen. Der große Bereich der gewerblich-technischen Berufe ist beispielsweise ein Feld, in dem hohes Nachwuchspotenzial durch gezielte Ansprache zu gewinnen ist. Dies gilt im Übrigen für alle vermeintlichen „Männerdomänen“!