Viele Unternehmen und Betriebe haben Sorge, dass ihnen bald der Nachwuchs ausgeht. Am schlimmsten trifft es die kleinen. Unternehmen, die weniger als zehn Mitarbeiter beschäftigen, gehen bei der Suche nach qualifizierten Azubis häufig leer aus. Doch auch der Mittelstand kämpft. Dabei ist nicht immer unbedingt die mangelnde Zahl an Bewerbungen das Problem, sondern die Qualifikation der Jobanwärter. Mancher Betrieb überlässt hier nichts mehr dem Zufall und bietet Ausbildungsmarketing via Nachhilfe an.
Es ist noch nicht lange her, da konnten Firmen im Recruiting Bewerber frei wählen. Vorbei. Heute haben angehende Azubis die Qual der Wahl. Die Zahl verfügbarer Auszubildenden in Deutschland geht aufgrund des demographischen Wandels seit Jahren zurück, während die Zahl freier Ausbildungsplätze kontinuierlich steigt.
Neue Wege im Ausbildungsmanagement
Das macht es vor allem kleineren Betrieben schwer, Nachwuchs zu finden, wie das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) in Bonn konstatiert. In den vergangenen sechs Jahren sank der Wert der Auszubildenden in Kleinstbetrieben um mehr als 100.000 Personen.
Aber auch der Mittelstand ächzt unter dem grassierenden Fachkräftemangel. Aktuell kann jeder dritte Betrieb seine Ausbildungsplätze nicht besetzen. Im Osten sogar fast jeder zweite, teilt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) mit.
Berufswahl: Die Beliebtheit akademischer Berufe steigt
Erschwerend kommt hinzu, dass vielen angehenden Azubis die Ausbildungsreife fehlt. Konkret beklagen viele Betriebe, dass die Kenntnisse der Schulabgänger in Deutsch und Mathematik schlechter sind als in den Vorjahren. Auch an „Softskills“ wie Disziplin, Belastbarkeit und Leistungswille fehle es. Das liegt daran, dass dem sehr gut qualifizierten Teil der Schulabsolventen der Gang zur Uni immer erstrebenswerter erscheint.
Doch das Bildungsdefizit unter angehenden Azubis ist auch ein Stück weit hausgemacht. Viele Azubis könnten in punkto Fachwissen besser dastehen, hätten sie als Schüler die richtige Förderung durch Nachhilfe erhalten, konstatiert eine aktuelle Studie der Hans-Böckler-Stiftung.
Wie Firmen durch Ausbildungsmarketing Bildungslücken schließen können
Das Erschreckende: An den Angeboten mangelt es nicht, und auch jeder Dritte unter den 15-Jährigen geht regelmäßig zur Nachhilfe. Aber nicht unbedingt, weil er sie braucht, sondern weil ehrgeizige Eltern mehr Leistung aus ihm herausholen wollen. Längst gehen nicht mehr nur Versetzungsgefährdete zur Nachhilfe, sondern immer häufiger Dreier-Kandidaten, deren Eltern das nötige Kleingeld in der Tasche haben.
Jene aus weniger gut betuchten Gesellschaftsschichten bleiben hingegen oft zuhause. Gerade einmal 13 Prozent aus ärmeren Familien nehmen Nachhilfestunden. Aber auch hier hapert es nicht unbedingt am Geld. Denn der Zusatzunterricht wird durch das Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes gefördert. Doch der Weg dorthin ist mit komplexen bürokratischen Hürden gepflastert. Und nicht jeder Antrag hat Aussicht auf Erfolg. Das schreckt ab. Ein Dilemma, zu dessen Lösung immer mehr Betriebe durch ein gezieltes Ausbildungsmarketing beitragen wollen.
Was ist Ausbildungsmarketing? Eine Definition.
Ausbildungsmarketing – was ist das? Ziel eines geschickten Ausbildungsmarketings ist es, mehr junge Leute auf eine Ausbildung im eigenen Unternehmen aufmerksam zu machen. Zum Beispiel durch eine gezielte Ansprache. Immer öfter aber auch durch passgenaue Bildungs-Angebote. Der Girls’ oder Boys’ Day gehören zum Beispiel dazu.
Doch die entsprechenden Aktionen sind in der Regel nur von kurzer Dauer und meist auf einen Tag begrenzt. Es gibt aber auch langfristigere Wege, sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren und positiv auf die Entwicklung des Fachkräftenachwuchses einzuwirken. Stichwort: Ausbildungsmarketing via Nachhilfe. Oder wer das Kind bei dem marketinggerechteren Namen nennen will: Gezielte Förderangebote im Kindes- und im Jugendalter.
Ausbildungsmarketing gleich Schulmarketing? Es geht auch früher!
Kein Scherz! Manche Unternehmen setzen mit den entsprechenden Personalmarketing Maßnahmen bereits im Kindergartenalter an. Die Idee ist keinesfalls absurd: Wissenslücken entstehen erst gar nicht und Kinder können früh für bestimmte Berufsfelder begeistert werden. Im Idealfall lässt sich die spätere Berufswahl beeinflussen, womit die Sorgen der Personalplanung hoffentlich früher oder später ad acta gelegt werden können.
Die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“ ist zum Beispiel die größte deutsche Bildungsinitiative im frühkindlichen Bereich. Partner der Stiftung aus Industrie und Forschung sind die Helmholtzgemeinschaft, die Siemens-Stiftung, die Dietmar-Hopp-Stiftung, die Deutsche-Telekom-Stiftung und die Autostadt in Wolfsburg. Gefördert wird sie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Ausbildungsmarketing im Kindergarten: Haus der kleinen Forscher
Die Initiative möchte Kindern im Kita- und Grundschulalter die alltägliche Begegnung mit naturwissenschaftlichen, mathematischen und technischen Themen ermöglichen. Die Mädchen und Jungen bekommen früh die Chance, diese Felder spielerisch für sich zu entdecken. Die Stiftung unterstützt pädagogische Fach- und Lehrkräfte durch kontinuierliche Fortbildungen, die Kinder beim Entdecken, Forschen und Lernen im Alltag zu begleiten und regt Mädchen und Jungen im Grundschulalter durch direkt für sie gestaltete Materialien dazu an, eigenständig zu forschen.
Ganz nebenbei ist das Projekt ein genialer Personalmarketing-Schachzug. Denn Unternehmensstiftungen, die dem Nachwuchs so viel Gutes angedeihen lassen, dürften fortan in den Köpfen der Eltern positiv besetzt sein.
Das kann die Wahl des späteren Arbeitgebers durchaus beeinflussen. Denn bei Azubis haben Eltern noch ein relativ großes Mitspracherecht. Gleichzeitig gelingt es den Unternehmen im Bildungsbereich in jungen Jahren die richtigen Weichen zu stellen. Das erhöht ihre Chance, eines Tages gut vorbereitete Azubis anheuern zu können, erheblich. Frei nach dem Motto: Nicht auf die Besten warten, sondern die Besten selbst weiter- oder ausbilden.
Ausbildungsmarketing: Geht’s auch kurzfristiger?
Aber wie gesagt: Das Projekt ist auf lange Sicht angelegt. Andere Varianten des Ausbildungsmarketings setzen später an. Um Defizite im Schreiben, Rechnen und Lesen auszugleichen, organisierte beispielsweise eine Reihe von Firmen im Bezirk der IHK Südwestfalen vor ein paar Jahren konkrete Nachhilfeangebote für den Fachkräftenachwuchs. Aber auch die Kammern selbst reagieren auf Negativkurve in der Bildung der Azubis mit vermehrten Wissens-Angeboten. Dazu gehören langfristige Schülerpraktika, bei denen erstes berufsrelevantes Wissen erworben werden kann oder auch Angebote für Nachhilfeunterricht.
Ein anderes „Wissens“-Projekt mit Mädchen aus örtlichen Realschulen firmiert unter dem Namen „Mädchen in IT Berufen“ der Materna GmbH in Dortmund. Hier bauen Mädchen der neunten Klassen unter Anleitung aktueller Azubis Computer auseinander und wieder zusammen, vernetzen sie und programmieren Software.
Ausbildungsmarketing: Warum die Bedeutung steigt
Ein anderes Ausbildungsmarketing-Angebot ist die „Juniorakademie“ des Regierungspräsidiums Tübingen. Ins Leben gerufen wurde die Initiative von der Groz-Beckert KG, die eine eigene Stiftung gründete und die Akademie über das Kultusministerium in die Wege leitete.
Die Junior-Akademie eröffnet Mittelstufenschülern die Möglichkeit, sich in Projekten unter der Anleitung von Spezialisten mit verschiedenen Themen aus dem naturwissenschaftlich-technischen Bereich zu beschäftigen. Interessen werden geweckt und weiter gestärkt, Begabungen individuell gefördert.
Beispiele, in denen Firmen, die Bildung künftiger Fachkräfte positiv beeinflussen, gibt es noch viele. Die wirtschaftlich geförderte Initiative TECHNOlino etwa, die durch die Einrichtung von Forscherecken in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen den spielerischen Umgang mit Naturwissenschaft und Technik ankurbelt.
Eines haben alle Initiativen gemeinsam: Sie wollen Interesse wecken und Kinder zum selbstständigen Lernen anleiten, so dass irgendwann einmal gut qualifizierte Ausbildungsanwärter auf den Markt strömen. Dabei verzichten sie ganz bewusst auf das hässliche Wort Nachhilfe, sondern setzen den Nachwuchs direkt auf den Forscherthron. Geschickt! Das einzige Problem: Damit das ganze nachhaltige Früchte trägt, müssten noch mehr Firmen auf den Geschmack kommen.