Fürsorgepflicht
Erhöhte Fürsorgemaßnahmen führen zu höheren Unternehmensgewinnen. Dieser Aussage stimmen 57 Prozent der Arbeitgeber innerhalb einer Befragung der „Reworking Duty of Care“ Studie von Chubb zu. Positive Nebeneffekte der Fürsorgepflicht sind laut der Studie geringere Abwesenheitszeiten, eine erhöhte Produktivität sowie eine gestiegene Mitarbeiterbindung. Arbeitgeber, die sich kümmern, sind für Talente somit attraktiver.
Wie sich Unternehmen um ihre Beschäftigten kümmern müssen, ist gesetzlich geregelt. Denn die Fürsorgepflicht ist nichts anderes als die Verantwortung eines Arbeitgebers, für das Wohlergehen und die Sicherheit der eigenen Belegschaft zu sorgen. Je mehr sich Unternehmen über die rechtlichen Pflichten hinaus um ihre Mitarbeitenden sorgen, desto besser sind die Effekte für das gesamte Unternehmen.
Was ist die Fürsorgepflicht?
Die Fürsorgepflicht ist eine ethische sowie rechtliche Verpflichtung, die Arbeitgeber gegenüber den eigenen Mitarbeitenden eingehen. Unter Beachtung der Grundsätze eines sozialen Arbeitsumfeldes wird so das Leben und die Gesundheit der eigenen Mitarbeitenden geschützt.
Dabei setzt sich die Fürsorgepflicht aus Schutz-, Sorgfalts- und Auskunftspflichten zusammen. Einst wurde die Fürsorgepflicht etabliert, um Mitarbeitende vor ausbeuterischer Behandlung durch den Arbeitgeber zu schützen – gleichwohl vor rechtswidrigen Handlungen der eigenen Arbeitskolleg:innen. So schließt die Fürsorgepflicht etwa den Schutz vor Mobbing oder die Beurlaubung im Krankheitsfall ein.
Schutz- und Sorgfaltspflichten beziehen sich auf sämtliche Vorkehrungen innerhalb des laufenden Geschäftsbetriebs. Hierzu zählen beispielsweise die Bereitstellung von Arbeitsschutzkleidung oder faire Arbeitszeitenregelungen. Auskunftspflichten ergeben sich hingegen aus Leistungs- und Integritätsinteressen, die ein Mitarbeitender besitzen könnte. Arbeitgeber sind beispielsweise verpflichtet, über eine Freistellung oder Kündigung unaufgefordert mit Mitarbeitenden zu sprechen.
Gesetzliche Grundlage
Pflichten entstehen bei der Unterzeichnung eines Arbeitsverhältnisses auf beide Seiten. Während Mitarbeitende eine Treuepflicht gegenüber dem Arbeitgeber eingehen, verpflichten sich Unternehmen zur Fürsorge.
Mehrere Gesetze liefern die gesetzliche Grundlage:
- Arbeitsschutzgesetz
- Arbeitszeitgesetz
- Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
- Arbeitsstättenverordnung
- Arbeitssicherheitsgesetz
- Beschäftigungsgesetz
- Jugendarbeitsschutzgesetz
- Mutterschutzgesetz
- Regelwerke der Berufsgenossenschaft
Privatrechtlich vs. öffentlich-rechtliche Fürsorgepflichten
Welche Pflichten gesetzlich erfüllt werden müssen, unterscheidet sich zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Unternehmen. Staatlich erlassen sind in der Regel öffentlich-rechtliche Pflichten. So ist in Artikel 33 Abs. 4 des Grundgesetzes vom öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treuverhältnis die Rede.
Privatrechtliche Fürsorgepflichten
Im privatrechtlichen Segment beginnen die Dienst- und Treuverhältnisse mit dem Aufsetzen eines Arbeitsvertrages und enden mit dem letzten Tag des Dienstverhältnisses.
Privatrechtliche Pflichten beschreibt insbesondere das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in §618 Abs. 1 ausführlich: „Der Dienstberechtigte hat Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass der Verpflichtete gegen Gefahr für Leben und Gesundheit so weit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet.“
Beispiele der Fürsorgepflicht sind in diesem Zuge auch
- die Instandhaltung des Bürogebäudes
- die Bereitstellung einer Blaulichtbrille
- Das Einrichten ergonomischer Arbeitsplätze
Öffentlich-rechtliche Fürsorgepflichten
Besitzen Institutionen die Dienstherrnfähigkeit, also das Recht, Beamt:innen zu besitzen, geht die Fürsorgepflicht für Angestellte mit Beamtenstatus über die Arbeitszeit hinaus. Die Fürsorgepflicht gilt hier zwischen der verbeamteten Person und dessen Dienstherr. Die Besonderheit: Fürsorgepflichten gelten auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die jeweilige Person und ihre Familie. Würden beispielsweise die Witwenbezüge nicht ausreichen, sind Beihilfeleistungen zu erhöhen. Regelungen sind in §78 Bundesbeamtengesetz sowie §45 Beamtenstatusgesetz festgehalten.
Erhöhte Fürsorgepflicht
Fürsorgepflichten unterscheiden sich also – etwa durch privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse. Bereits die Situation der jeweiligen Person verändert den Gegenstand der Fürsorgepflicht. So ist es für Büroangestellte unzumutbar, täglich eine Außenwand zum Arbeitsplatz aufzusteigen. Sie vermeiden potenzielle Gefahren, also die Treppe oder den Aufzug. Für Fensterputzer ist es hingegen legitim, sich an Hochhäusern abzuseilen und dort zu arbeiten. Es ist Teil ihrer Tätigkeit. Gefahren sind somit nur insofern von Arbeitgebern zu vermeiden, wie sie für die Bewältigung der Arbeit unerheblich sind.
Auch private Situationen verändern die Fürsorgepflicht, die ein Arbeitgeber der Person gegenüberbringen muss. Ist eine Person beispielsweise schwanger, behindert oder noch minderjährig, ergeben sich neue Pflichten.
Was schließt die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ein?
Unternehmen profitieren von gesunden Mitarbeitenden. Je besser die Fürsorge, desto mehr leistet ein Unternehmen einen Beitrag zur Gesundheit der eigenen Belegschaft. Unternehmensbereiche wie das betriebliche Gesundheitsmanagement sind speziell auf die Fürsorge der eigenen Mitarbeitenden ausgerichtet. In den Rahmen der Fürsorgepflicht fallen jedoch viele verschiedene Bereiche.
Arbeitsschutz
Der Arbeitsschutz umfasst sowohl die Gestaltung von Arbeitsräumen, Geräten und Vorrichtungen zur Leistungserbringung. In Unternehmen mit Betriebsrat besitzt dieser ein Mitbestimmungsrecht nach §87 Abs. 1 Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz.
Schutzpflichten des Arbeitgebers schließen die Unfallsicherheit am Arbeitsplatz ein. Sowohl die körperliche als auch psychische Gesundheit von Mitarbeitenden dürfen durch ein Arbeitsverhältnis nicht gefährdet sein. Ergonomische Schreibtische unterstützen beispielsweise die Rückengesundheit bei Schreibtisch-Jobs, helle Räumlichkeiten fördern das Wohlbefinden, Helme bewahren auf Baustellen vor Verletzungen und flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice können die psychische Gesundheit von Mitarbeitenden verbessern.
Psychische Krankheiten wie Depressionen oder Burnout müssen Arbeitgeber achtsam begegnen. Handelt es sich hingegen um einen firmeninternen Fall wie Mobbing, sind Arbeitgeber angewiesen, neben dem Schutz der psychischen Gesundheit des Mitarbeitenden auch dessen Persönlichkeitsrechte zu wahren.
Unterrichtungspflicht
Sichere Arbeitsplätze allein reichen nicht aus. Viele Arbeitsplätze sind nur dann sicher, wenn Mitarbeitende eine Unterweisung erhalten. Arbeitgeber müssen ihren Angestellten somit die Informationen bereitstellen, die notwendig sind, um Arbeitsschritte sicher auszuüben. Die Unterrichtungspflicht beinhaltet beispielsweise, wie Geräte zu bedienen sind, welche Arbeitszeitenregelungen einzuhalten sind oder warum die Schutzkleidung obligatorisch ist.
Unterrichtungspflichten gelten somit für jede Berufsgruppe und müssen auf den spezifischen Arbeitsplatz ausgerichtet sein.
Exemplarisch für die Unterrichtungspflicht war die Coronapandemie. Arbeitgeber informierten Mitarbeitende darüber, warum die Maskenpflicht ab sofort in Betriebsstätten gilt und welche weiteren Sicherheitsmaßnahmen getroffen wurden.
Beschäftigungsanspruch
Arbeitgeber sind verpflichtet, Arbeitnehmende nur so einzusetzen, wie es ihre Qualifikation zulässt und es der Arbeitsvertrag erlaubt. Es ist somit nicht ohne weiteres möglich, Mitarbeitende der HR-Abteilung in der Buchhaltung einzusetzen, auch wenn der Mitarbeitende qualifiziert wäre. Beziehen sich die entstehenden Pflichten aus dem Arbeitsvertrag nur auf die Tätigkeiten der HR-Abteilung, muss der Mitarbeitende nicht in der Buchhaltig tätig werden.
Ausnahmen sind außergewöhnliche Umstände, etwa wenn Unternehmen betrieblich umstrukturieren müssen, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens die Weiterarbeit in der Beschäftigungsart nicht zulässt oder Naturkatastrophen den Gegenstand der Arbeit ändern.
Datenschutz und Privatsphäre
Obhuts- und Verwahrungspflichten zählen ebenfalls in die Fürsorgepflicht. Arbeitgeber müssen entsprechende Aufbewahrungsmöglichkeiten bereitstellen, in der Mitarbeitende ihre persönlichen Gegenstände während der Arbeitszeit sicher verwahren können. Abschließbare Spinde sind hierfür eine gängige Möglichkeit.
Neben den persönlichen Dingen der Mitarbeitenden sind nach Bundesdatenschutzgesetz auch deren persönliche Daten vor Missbrauch zu schützen. Dieser Anspruch besteht über das Dienstverhältnis hinaus. Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts wäre es beispielsweise eine „lückenlose technische Überwachung am Arbeitsplatz“ durchzuführen. Ohne dringenden Verdacht auf eine Pflichtverletzung ist es dementsprechend unzulässig, mittels einer Software die gesamte PC-Nutzung zu protokollieren und zu speichern. Das geht aus dem Keylogger-Urteil hervor.
Fürsorgepflicht im Krankheitsfall: Was gibt es zu beachten?
Wer krank zur Arbeit kommt, setzt den eigenen Arbeitgeber in Zugzwang. Denn ein unfallsicherer Arbeitsplatz ist nur gewährt, wenn die Gesundheit des Mitarbeitenden auch sichergestellt ist. Krank zur Arbeit zu erscheinen, erhöht jedoch das eigene Gefährdungspotenzial sich bei der Arbeit zu verletzen und die Gefahr anderer, sich anzustecken.
Erscheinen Mitarbeitende sichtbar krank zur Arbeit, sind Unternehmen bzw. stellvertretend die Führungskräfte der Person angewiesen, die Person zum Arzt zu schicken. Auch der sichere Weg zum Arzt liegt dann in der Verantwortung des Arbeitgebers.
Das bedeutet konkret: Entscheidet sich ein Mitarbeitender aktiv dafür, in einem arbeitsunfähigen Zustand zur Arbeit zu erscheinen, darf dies ein Unternehmen nicht erlauben. Hier greift die Fürsorgepflicht. Diese inkludiert beispielsweise auch, dass chronisch kranke Mitarbeitenden im Betriebsalltag in keiner Weise benachteiligt werden dürfen.
Was passiert bei Verletzung der Fürsorgepflicht?
Fälle von Mobbing, sexueller Belästigung oder betriebsbedingtem Burnout sind klare Verletzungen der Fürsorgepflicht. Gemäß §618 Abs. 3 BGB können betroffene Arbeitnehmende dann nach den geltenden Vorschriften von §§842 bis 846 BGB Schadensersatzansprüche gegenüber ihrem Arbeitgeber geltend machen.
Damit diese greifen, müssen Verletzungen der Fürsorgepflicht schuldhaft sein. Ist die Schuldfrage nicht geklärt, besitzen Arbeitnehmende einen Erfüllungs- bzw. Unterlassungsanspruch. Greift dieser, können Arbeitnehmende bei voller Vergütung beispielsweise ihre Arbeitsleistung reduzieren, um sich selbst zu schützen. Dieses Zurückbehaltungsrecht gilt so lange, bis der Arbeitgeber der eigenen Fürsorgepflicht wieder nachkommt.
Neben Schadensersatzansprüchen und dem Zurückbehaltungsrecht besitzen Arbeitnehmende in ernsten Fällen auch ein gesondertes Kündigungsrecht. Sind die Zustände des Arbeitsplatzes für die Gesundheit und/ oder das Leben des Mitarbeitenden unzumutbar, besteht die Möglichkeit, eine außerordentliche fristlose Kündigung einzureichen.
Übrigens: Der Ausschluss der Fürsorgepflicht ist niemals möglich. Die Grundlage hierfür liefert §619 BGB. Dieser besagt, dass „die dem Dienstberechtigten nach den §§617, 618 obliegenden Verpflichtungen nicht im Voraus durch den Vertrag aufgehoben oder beschränkt werden können“.
Fazit: Fürsorgepflicht schützt Arbeitnehmende
Die Fürsorgepflicht von Arbeitgebern gegenüber ihren Mitarbeitenden ist nicht verhandelbar. Die aus der Fürsorgepflicht entstehenden Nebenpflichten beinhalten Persönlichkeits-, Eigentums- und Gleichbehandlungspflichten. Durch Bereitstellung sicherer Arbeitsplätze, Vorrichtungen und Gegenständen zur Leistungserbringung sowie der arbeitsspezifischen Unterweisung kommen Arbeitgeber ihren gesetzlichen Fürsorgepflichten nach. Je nach Dienstverhältnis und Art der Fürsorge gehen die Verpflichtungen über die Zeit des Arbeitsverhältnisses hinaus.
Unternehmen, die über den gesetzlichen Rahmen hinaus Fürsorge leisten, verbessern das Betriebsklima. Sowohl die Arbeitsplatzbedingungen als auch die physische und psychische Gesundheit der Mitarbeitenden werden so positiv beeinflusst. Das kann sich in reduzierten Fluktuationsraten und einer erhöhten Mitarbeiterzufriedenheit äußern.
Weiterführende Links
- ver.di b+b - Fürsorgepflicht im Arbeitsverhältnis: https://verdi-bub.de/wissen/praxistipps/fuersorgepflicht-im-arbeitsverhaeltnis
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