Lockdown. Ein Ausnahmezustand, der in kürzester Zeit ganze Berufsgruppen in Kurzarbeit schickte, Jobs kostete und die Arbeitswelt, wie wir sie kennen, bis heute auf den Kopf stellt. Die Krise warf eine Frage auf: Welche Berufe sind systemrelevant?
Die Bundesregierung definiert systemrelevante Berufe als Grundlage für die Daseinsvorsorge. Sie üben Tätigkeiten aus, die für die Gesellschaft unverzichtbar sind und weit über die reine Grundversorgung hinausgehen.
Systemrelevanz vs. Status
Systemrelevante Berufsgruppen gibt es in zahlreichen Wirtschaftszweigen. So stellen unter anderem die Abfallwirtschaft, Landwirtschaft, Informationstechnologie und Abwassertechnik oder auch der Personen- und Güterverkehr die Daseinsvorsorge sicher. Betrachtungen der Bundeszentrale für politische Bildung zeigen, dass insbesondere primäre Dienstleistungen systemrelevant einzuschätzen sind. Während der Corona-Pandemie lag die mediale Aufmerksamkeit auf einer Gruppierung: der Gesundheitsbranche.
Arbeitsbedingungen vor und nach Corona
Applaus als Zeichen der Solidarität galt den Pflegekräften und Ärzt:innen weltweit. Doch wie steht es um die Arbeitsbedingungen? Bereits vor der Pandemie bestand in der Branche trotz Systemrelevanz ein Fachkräftemangel. Dieser führte wiederum zu einer schlechteren Versorgung pflegebedürftiger Menschen, zu Unzufriedenheit, zu hoher Belastung und schlussendlich zu Kündigungswellen des Pflegepersonals.
Um die Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, sind Änderungen unausweichlich. Aufgrund der Doppelbelastung von Fachkräftemangel und pandemischer Lage wurden zunächst die Arbeitszeiten für Fachpersonal von täglich zehn zu zwölf Stunden ausgeweitet. Darunter litt einerseits die Qualität der Arbeit und der Versorgung und andererseits auch das Pflegepersonal selbst. Die Folge: „Zwischen April und Juni 2021 kündigten über 9.000 Pflegekräfte“, so der NDR.
Kurzfristige und langfristige Stützen
Eine kurzfristige (finanzielle) Entlastung von Pflegeberufen und gleichzeitig ein Zeichen für Anerkennung hat die Politik durch den im November 2022 ausgezahlten Corona-Bonus für Pflegekräfte geschaffen. Die Auszahlung erfolgte über den Arbeitgeber. Die einmalige Prämie von bis zu 3.300 Euro erhielten jedoch nur ausgewählte Gesundheitseinrichtungen.
Langfristig plant die Politik, den Gesundheitssektor attraktiver aufzubauen und so das System zu stützen. Die seit 2020 vorhandene Generalausbildung für Pflegeberufe soll unter anderem die Weichen für eine einheitliche Ausbildung stellen. Dadurch ist es nach der Ausbildung möglich, in verschiedenen Pflegebereichen zu arbeiten. Zudem erhalten die Auszubildenen eine Ausbildungsvergütung. Die Ausbildungsoffensive zeigte bereits Wirkung: Im Jahr 2021 stieg die Zahl der Auszubildenden um sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr, so das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zeitgleich sieht es die Politik vor, Gehälter im Pflegesektor anzuheben, indem sie einheitlich tariflich geregelt werden.
Systemrelevanz impliziert keine Wertschätzung
Die monetäre Wertschätzung bleibt allerdings noch ausbaufähig. Die Abbildung verdeutlicht, dass nicht nur die Bruttogehälter unterdurchschnittlich sind, sondern auch das Berufsprestige faktisch nicht vorhanden ist.
Mittlerweile haben die Arbeitgeber im Gesundheitssektor reagiert: die Gehälter stiegen leicht. So verdienten Vollzeitkräfte in Krankenhäusern im Jahr 2021 durchschnittlich 241 Euro mehr im Monat als 2019. Um den Notstand in systemrelevanten Berufen zu minimieren, reicht diese Erhöhung allerdings nicht aus.
Fazit: Wann ist ein Unternehmen systemrelevant?
Entwicklungen wie die Corona-Pandemie zeigen, dass Unternehmen, die systemrelevant sind, auch krisensicher sind. So lassen sich laut einer Haufe Studie sogar Insolvenzen verhindern. Denn der Staat bürgt für die Sicherheit systemrelevanter Strukturen. Auch die Dienstleistungen eines systemrelevanten Unternehmens unterstehen einem besonderen Schutz. In kritischen Infrastrukturen erhielten Arbeitnehmende in systemrelevanten Berufsgruppen zuletzt einen „Anspruch auf Notbetreuung ihres Nachwuchses“, so die Bundeszentrale für politische Bildung.
Nicht zu vergessen sei in diesem Zuge, dass Systemrelevanz auch mit Aktualität einhergeht. Welche systemrelevanten Berufsgruppen einen besonderen Schutz erhalten und wie dieser ausgestaltet ist, unterscheidet sich somit von Krise zu Krise sowie einhergehender politischer Entscheidungen. Die Versorgungssicherheit lässt sich durch Personalarbeit am Zahn der Zeit intern aber beeinflussen.
So zeigt die Studie „Ich pflege wieder, wenn“ eindrucksvoll, dass das Pflegepersonal wieder in den Beruf zurückkehren würde, wenn
- der Pflegeschlüssel verhältnismäßig ist
- ausreichend Pflegekräfte für eine qualitative Versorgung und Zuwendung einzelner Patient:innen verfügbar sind
- die Wertschätzung von Führungskräften gegeben ist
- verbindliche Dienstpläne Planungssicherheit für das Privatleben gewähren
- der bürokratische Aufwand reduziert wird
- faire Gehälter ausgezahlt werden
Ergo: Die Arbeitsbedingungen müssen endlich stimmen.