Kinder gelten leider auch im Jahr 2019 noch als Karrierekiller. Kind oder Karriere, lautet die Frage für viele Vielleichtbaldeltern. Vor allem Mütter durchlaufen nach der Geburt ihres ersten Kindes einen Karriereknick – verbunden mit einem kräftigen finanziellen Minus. Um Kind und Arbeit (ja richtig, Arbeit, nicht Karriere) verbinden zu können, reduzieren viele frisch gebackene Mütter ihre Wochenstunden. Eine Führungskarriere scheint damit in vielen Unternehmen nicht möglich. Zu groß ist der zeitliche Aufwand oder gar die Angst vor dem Ausfall, wenn das kranke Kind gehütet werden muss. Die gern genutzte Phrase von der sogenannten „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ aus Stellenanzeigen kann an dieser Stelle in der Form von Jobsharing Realität werden.
Jobsharing als flexibles Arbeitszeitenmodell
Jobsharing bedeutet Arbeitsplatzteilung – simple as that. Zwei oder mehr Angestellte teilen sich also eine Vollzeitstelle. Zwangsläufig arbeiten die Jobsharenden dann eng als Team zusammen – eine funktionierende Kommunikation ist eine elementare Grundlage. Über Arbeitszeiten und die Aufgabenverteilung stimmen sich die Beteiligten selbstständig ab. Jobsharing ist aber nicht gleich Jobsharing. Man unterscheidet zwischen drei Formen:
- Jobsplitting: Beim Jobsplitting werden die Arbeitszeiten zwischen zwei oder mehreren Personen aufgeteilt. Damit ähnelt dieses Model stark der klassischen Teilzeit und ist streng genommen kein richtiges Jobsharing: Ein Job wird auf voneinander unabhängige Bereiche aufgeteilt, wobei sich die Jobsharenden in ihren Kompetenzen ergänzen.
- Jobpairing: Jobpairing ist der Kern von Jobsharing und damit das, was wir – zumindest im deutschsprachigen Raum – darunter verstehen. Die Jobsharenden sind für ihr Kollegium eine Person und somit austauschbar. Hier kann noch zwischen einem Hybrid Job Share (Jobsharende ergänzen sich durch unterschiedliche Erfahrungen und Kompetenzen) und dem Pure Job Share (Jobsharende verfügen über nahezu identische Kompetenzen und Stärken) unterschieden werden.
- Topsharing: Topsharing meint das partnerschaftliche Teilen einer Führungsposition.
Und wie soll das in der Praxis funktionieren?
Jobsharing kann in jedem Unternehmen funktionieren. Egal ob jemand in einem Konzern mit tausenden von Mitarbeitenden tätig ist, oder in einem Start-up mit einer Hand voll Kolleginnen und Kollegen: Es kommt nicht auf die Größe eines Unternehmens an, sondern auf die gelebte Arbeitskultur. Unternehmen und Führungskräfte müssen sich von Personen und Namen lossagen und stattdessen in Prozessen und Rollen denken. Ein Rudel Alphatiere wirkt sicherlich nicht positiv auf Jobsharing hin, echte Teamplayer sind gefragt. Neben der schon angesprochenen Kommunikation ist das Verständnis von Arbeitsprozessen und -weisen ein weiterer Indikator für erfolgreiches Jobsharing. Jobsharende müssen nicht die dicksten Freunde sein oder freitags gemeinsam Bier trinken, dafür aber ähnliche Ziele verfolgen und ein vergleichbares Grundverständnis ihrer Arbeitsleitung zeigen.
Jobsharing als Millennial-Lockmittel
In den vergangenen Jahrzehnten ist Verantwortung häufig mit Überstunden und „Leben um zu Arbeiten“ gleichgesetzt worden. Die Generation Y stellt hier berechtigterweise die Frage nach dem Warum.
Nicht nur für die angeblich so hedonistische Generation Y und junge Eltern (es soll ja auch Väter geben, die beruflich zurücktreten) ist Jobsharing ein attraktives Angebot. Begleitet man ein Ehrenamt (oder geht anderen zeitintensiven Hobbys nach), kommt pro Woche sicherlich eine Teilzeitstelle dazu. Egal ob jemand die Fußballweltmeister von übermorgen trainiert, an Schulen Demokratieworkshops hält oder sich in der Nachbarschaftshilfe engagiert: Ehrenämter sind wichtig für unser gesellschaftliches Zusammenleben und sollten gefördert werden. Warum nicht also auch durch berufliche Freiräume?
Durch Jobsharing können Unternehmen einen größeren Personenkreis an sich binden und damit auch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, eine Bewerbung von den kulturell passenden Kandidatinnen und Kandidaten zu bekommen. Die Arbeitsteilung kann nicht nur jungen Menschen Türen, sondern auch Karrierewege öffnen, die in klassischer Teilzeit nicht oder nur schwer möglich sind. Der Vorteil für das Unternehmen liegt auf der Hand: Jobsharende sind immer im Thema eingearbeitet, bei Ausfällen oder Urlaub droht kein Projektstillstand. Ergänzen sich die Jobsharer in ihren Qualifikationen, bringen sie verschiedene (Denk-)Ansätze in das Unternehmen und tragen so zur positiven und ideenreichen Weiterentwicklung bei. Jobsharing sollte nicht nur einer vermeintlich jungen Zielgruppe angeboten werden, sondern auch älteren Generationen offenstehen, beispielsweise beim Übergang in den Ruhestand.
Die Realität: Jobsharing als Fremdwort
Auf dem deutschen Arbeitsmarkt scheint Jobsharing (noch) ein Fremdwort zu sein. Je nach Studie unterscheidet sich die Zahl der Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden das Teilen eines Jobs anbieten. Allen sind jedoch zwei Dinge gemeinsam: Sie sind zu gering und vor allem geringer als die Nachfrage. Als Vorbilder gehen SAP und die Deutsche Bahn voran: Erstere schreiben jede Stelle so aus, dass sie auch durch zwei Personen ausgeführt werden kann, letzte beschränken das Jobsharing (noch) auf Führungspositionen.
Noch ein bisschen Kritik
Natürlich gibt es Kritik an Jobsharing – so wie an allem, was irgendwie neu und anders ist. Sicherlich ist das Aufteilen eines Jobs auf mehrere Personen nicht für jede Firma geeignet. Geteilte Verantwortung schreit förmlich nach einem höheren Aufwand für Dokumentation und Kommunikation und damit nach mehr „unproduktiver“ Arbeitszeit. Stichwort Übergaben: Hier sollten Unternehmen mehr Zeit einplanen. Eine Vollzeitstelle 50/50 aufzuteilen wirkt dem entgegen. Beiden Personen mindestens 60 Prozent der Vollzeitstelle anzubieten ist sinnvoller, um genügend Zeit für Überschneidungen zu geben – auch wenn das Unternehmen unterm Strich draufzahlt.
Jobsharing: trotzdem eine runde Sache
Klar kann man viel Kritik an Jobsharing üben, ich persönlich finde aber, dass die Möglichkeiten, die Jobsharing für Arbeitnehmer aber auch Arbeitgeber bietet, überwiegen. Wir sprechen immer von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, einer ausgewogenen Work-Life-Balance und der Verwirklichung unserer selbst. Jetzt ist es an der Zeit, diese Phrasen in die Realität zu übersetzen.