Die Deutsche Bahn lies es irgendwann einfach weg: das Anschreiben. Kandidat:innen waren nicht mehr dazu verpflichtet, der Bewerbung ein Anschreiben hinzuzufügen. Die Folge: mehr Bewerbungen. Das ergab eine Auswertung bereits im Jahr 2019. Drei Jahre später verzichten mehr und mehr Unternehmen bei der Suche nach passenden Talenten auf das Anschreiben – Tendenz steigend. Der Lebenslauf bleibt als Konstante im Rekrutierungsprozess.
Die Gründe hierfür sind zahlreich: Ein Anschreiben ist selten aussagekräftig, sowohl für Bewerbende als auch Recruiter:innen zeitintensiv und selten mit automatisierten Systemen vereinbar. Und doch: Das Anschreiben kann für den Rekrutierungsprozess Vorteile bieten. Wann ist es sinnvoll? Wenn es Mehrwert bietet.
Anschreiben spiegeln den Fit von Bewerbenden
Bei Möglichkeit ein Anschreiben der Bewerbung hinzuzufügen, lohnt sich unter zwei Voraussetzungen: Das Anschreiben stellt die Persönlichkeit des Bewerbenden in den Vordergrund und enthält Informationen, die sich aus dem Lebenslauf nicht herauslesen lassen. Insbesondere Beweggründe für den Jobwechsel sowie die Eigenmotivation für die ausgeschriebenen Stelle können Bewerbende im Anschreiben begründen.
Das Anschreiben lässt sich als Bühne für Bewerbende erklären. Es ist die Chance, sich von der Konkurrenz abzuheben und die eigene Persönlichkeit hervorzuheben. Die fachliche Eignung ist bereits durch den Lebenslauf ersichtlich. Soft Skills sind es, die aus einem Anschreiben mit Mehrwert hervorgehen. Ob Cultural Fit, Kommunikationsstärke oder Führungsqualitäten: Sie bilden wichtige Entscheidungsgrundlagen für Personalabteilungen, um passende Talente zu finden.
Persönlichkeit statt Mainstream
Bewerbungsprozesse sind mit Marketingkampagnen vergleichbar. Sowohl Unternehmen als auch Bewerbende vermarkten sich selbst, um entweder die Attraktivität der Arbeitgebermarke zu erhöhen oder die eigene Eignung zu beweisen. Das Anschreiben ist dabei ein wichtiges Marketinginstrument für Bewerbende. Der Platz ist im Anschreiben begrenzt. Länger als eine Seite sollte es nicht sein. Floskeln wie „Hiermit bewerbe ich mich“ sind nicht nur nichtssagend, sondern auch Lückenfüller. Stattdessen sollte der knappe Platz dafür genutzt werden, aus der Masse hervorzustechen.
Abgesehen vom Inhalt zeigt das Anschreiben die Professionalität von Bewerbenden. Das beginnt mit der richtigen Zuordnung von Ansprechpersonen und einem korrekten Aufbau der Bewerbungsunterlagen. Letztlich ist es jedoch die Sprache, die Bewerbende und Unternehmen zusammenbringt. Schreibstil, Tonalität und Textaufbau sind Kommunikationselemente, die Rückschlüsse auf das Ausdrucksvermögen von Bewerbenden zulassen. Das ist nicht nur wichtig im Marketing, sondern in jedem Job, der Elemente der Kommunikation benötigt. Vor allem in Vertriebsstellen, leitenden Positionen und Stellen mit Kundenkontakt sind sprachliche Fähigkeiten obligatorisch.
Wann ein Anschreiben sinnvoll ist
Dass Anschreiben teilweise aus Bewerbungsprozessen herausfallen, hat seine Berechtigung. Jobs, die keine Qualifikationen fordern oder im Niedriglohnsektor angesiedelt sind, benötigen selten Anschreiben. Ein persönliches Gespräch sowie der Lebenslauf entscheiden über die Eignung.
Ein Anschreiben ist jedoch dann wichtig, wenn Stellen zu besetzen sind, die sowohl tiefes fachliches Wissen benötigen als auch Soft Skills und Persönlichkeit. Dabei lässt sich festhalten: Je höher die Komplexität von Stellen ist, desto höher sind die beruflichen Chancen, die sich aus einem qualitativen Anschreiben hervortun. Der Perspektivwechsel zur Personalabteilung zeigt, warum das so ist.
Anschreiben bieten der HR folgende Erkenntnisse:
- Die Motivation ermöglicht Rückschlüsse auf den Fit.
- Fachliche Qualifikationen und Soft Skills lassen sich ableiten und mit den Anforderungen an eine Stellenausschreibung abgleichen.
- Das Eintrittsdatum und Gehaltswünsche bieten eine solide Basis für Bewertungen und etwaige Verhandlungen.
- Die Persönlichkeit zeigt, ob Bewerbende in das Team passen.
Wo eine Bühne ist, gibt es auch eine Jury, in diesem Fall die Personalabteilung. Das Anschreiben vereinfacht noch vor dem Vorstellungsgespräch die Bewertung von Talenten. Das kann trotz zeitaufwendiger Sichtung der eingehenden Anschreiben die Time to Hire reduzieren und dank eines Corporate Fits zukünftige Fluktuationsraten verringern. Im Zweifel lohnt es sich somit, die Extrameile im Bewerbungsprozess zu nehmen und am traditionellen Anschreiben festzuhalten.