Michael Otto schaffte es in kürzester Zeit auf LinkedIn mit seiner Kultfigur, dem Ananasboy, eine hohe Reichweite aufzubauen. Wiedererkennungswert hat er, keine Frage. Was genau er macht? Geschichten erzählen. Und das mit Humor, kurz und knackig auf den Punkt. Einem Leitfaden folgt er bei seinem Storytelling nicht. Stattdessen weckt er Emotionen und trifft mit seinen Aussagen immer den Nagel auf den Kopf.
Aber was macht eine gute Geschichte eigentlich aus? Wir haben uns mit Michael unterhalten.
Vom Online-Marketing-Manager zum Storyteller: Normalerweise geben Online-Marketing-Manager Texte in Auftrag und schreiben diese nicht selbst. Was hat dich dazu bewegt, selbst Storyteller zu werden?
Als Online-Marketing-Manager ist man auch immer sehr generalistisch unterwegs. Ich war quasi die Marketingabteilung, als ich mit Online-Marketing begonnen habe, da ich alles machen durfte. Das heißt, dass ich die Markenbotschaft über alle Kanäle hinweg transportieren musste. Ich habe die Tonalität im Auge behalten müssen sowie die Ganzheitlichkeit. In allem, was ich getan habe, war Storytelling. Das musste nicht immer schwarz auf weiß sein. Es konnte auch durch die Bildsprache erkennbar sein. Storytelling war somit immer ein Kernelement meiner Arbeit.
Aber das Schreiben hat mir auch schon vor meinem Job als Online-Marketer Spaß gemacht. Für mich war es daher ein logischer Schritt zu sagen, dass ich mich nebenberuflich auf Storytelling fokussieren möchte. Denn das ist, was ich in meinen Augen am besten kann und was mir am meisten Freude bereitet. Die Schnittmenge aus den beiden Überlegungen war Storytelling, das in großen Teilen auch Copywriting beinhaltet.
Mit dem Ananasboy hast du dir auf LinkedIn schnell eine Reichweite aufgebaut. Was war deine Idee hinter dem Sympathieträger?
Ich habe etwas mit Wiedererkennungswert gesucht. Meine Beiträge schreibe ich frei aus dem Bauch heraus. Mit dem Ananasboy habe ich eine Figur gefunden, mit der ich in meinen Beiträgen mein inneres Kind ausleben kann. Warum Ananasboy? Der ist in Zusammenarbeit mit meiner Schwester entstanden. Sie ist Designerin und im Januar sagte ich ihr, dass ich keine Stockfotos mehr für meine Beiträge verwenden möchte, sondern etwas mit Wiedererkennungswert haben möchte.
Es hätte auch ein Schnitzel werden können. Ananasboy hat aber irgendwie gepasst. Ich habe an dem Tag Ananas gegessen und dann hat sie auch schon den ersten Entwurf aufgesetzt und wir waren verliebt. Das war unkompliziert, nicht konventionell und wenig strategisch überdacht. Wir haben es einfach gemacht.
Der erste Entwurf sah noch ganz anders aus und der zweite Entwurf hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Seitdem begleitet mich Ananasboy auf LinkedIn.
Seit Beginn der Menschheit erzählen wir uns gegenseitig Geschichten. Das Werkzeug einer guten Geschichte kennen jedoch nur wenige. Sie benötigt einen Helden, einen Konflikt, eine Problemlösung und eine einfache Sprache – so die Theorie. Was würdest du sagen, worauf es bei einer guten Geschichte wirklich ankommt?
Ich glaube, eine gute Geschichte liegt immer im Auge des Betrachters. Sie hat einen Anfang, einen Mittelteil und einen Schlussteil. Auch ein kurzer Satz kann eine Geschichte erzählen. Eike – ein Copywriter Kollege – hat mal einen Post gemacht, der folgenden Inhalt hatte:
Wollt ihr wissen, was Storytelling ist? Ein Boot, das den Namen Unsinkable II trägt. Das fand ich total cool. Das ist schon eine Geschichte, denn es ist der Name eines Boots, der eine Story erzählt.
Auch ich denke, dass Theorie und Praxis nicht immer ineinanderpassen. Ich finde, die Geschichte ist immer das, was wir daraus machen. Man merkt, wenn sich Leute am Storytelling versuchen, dass die Leute bewusst einem Leitfaden folgen. Das ist nicht verkehrt, da alle großen Filme und Bücher, die wir kennen, diesem Leitfaden folgen. Sie sind daraus entstanden, dass sich Menschen überlegt haben, wie eine gute Geschichte aufgebaut ist. Aus all den großen Werken, die uns mitreißen, wurden Gemeinsamkeiten erkannt. Da gibt es Heldinnen und Helden, Protagonisten, Antagonisten, Mentoren und den dramaturgischen Spannungsbogen. Daraus wurden diese Leitfäden abgeleitet. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine Geschichte immer nach Schema F erzählt werden muss.
Also, was macht eine gute Geschichte aus? Das kommt auf die Zielgruppe an sowie die Botschaft, die vermittelt werden soll. Eine gute Geschichte muss die Zielgruppe am Ende des Tages erreichen.
Das war jetzt alles querbeet. Im Prinzip ist meine Antwort, dass es immer auf die Situation ankommt. Losgelöst von der Theorie ist eine Geschichte etwas ganz Banales. Wenn wir unserer Partnerin oder unserem Partner von unserem Arbeitstag erzählen, ist es auch schon Storytelling.
Immer mehr Unternehmen erkennen, dass Markenbotschaften in Geschichten transportiert werden können. Aber wie gelingt das eigentlich und wie schaffen Storyteller es, Geschichten über mehrere Kanäle und Kampagnen hinweg zu erzählen?
Ich glaube, dass das Geschichtenerzählen bereits bei der Unternehmenskultur anfängt, wenn wir davon ausgehen, dass wir die Story über mehrere Kanäle stringent durchziehen möchten. Große Global Player wie Nike ihr „Just do it“ mit dieser Leichtigkeit nach außen transportierten, impliziert es auch, dass du es kannst – „You can do it“. Ich denke daher, dass es wichtig ist, dass die Botschaft in den Köpfen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ankommt. Denn das ist die Kernbotschaft unseres Storytellings.
Da gibt es einen total coolen Werbespot von Nike. Die beherrschen Storytelling, wie nur wenige es können. In dem Werbespot ging es um einen Laufschuh und die Kernaussage war, dass jeder von uns eine Athletin oder ein Athlet ist. Das heißt, dass es in dem Spot nie um den Schuh ging. Es ging nicht um die Beschaffenheit der Sohle oder die Technologie: Es ging einfach um Menschen, die laufen. Was mitschwang war, dass du eine Athletin oder ein Athlet bist, wenn du diesen Schuh trägst.
Für die einheitliche Kommunikation nach außen ist die Vermittlung der Unternehmenskultur entscheidend. Der Mensch, der für Social Media tätig ist, wird meist nicht einmal von der gleichen Person gebrieft wie der Mensch, der den Newsletter aufsetzt oder die Blogbeiträge schreibt oder die Interviews gibt und so weiter. Damit das einheitlich ist, müssen alle, die im Unternehmen für die Kommunikation nach außen zuständig sind, es fühlen. Im Gefühl fängt es an, dass Storytelling einheitlich sein kann. Nur so wissen wir, welche Story überhaupt erzählt wird.
Fragen wie: Könnt ihr das fühlen? Oder könnt ihr euch mit der Unternehmenskultur identifizieren? Die sind ganz wichtig. Wenn diese Fragen mit „Ja“ beantwortet werden können, ist die perfekte Grundlage vorhanden, um eine einheitliche Tonalität und Botschaft zu senden.
Als Storyteller ist es deine Aufgabe, Emotionen bei den Leserinnen und Lesern zu entfachen. Welche Emotion, würdest du sagen, sollte in jeder Geschichte vorkommen?
Was immer gut funktioniert, ist Humor in der Kommunikation. Wir lachen gerne. Ich denke, dass Humor eine Win-Win-Situation für alle ist. Uns bleibt ein pfiffiger und witziger Spot im Kopf, weil wir uns amüsiert haben. Wir erhalten auf der einen Seite positive Assoziationen zu dem Werbeträger und zum anderen zum Unternehmen dahinter. Vielleicht wollen wir das Produkt dahinter auch noch haben. Falls nicht, haben wir zumindest ein positives Gefühl erzeugt.
Das ist extrem wichtig. Sich gut fühlen ist die beste Emotion, die wir vermitteln können. Als Storyteller wollen wir im Marketing verkaufen. Sich gut zu fühlen und gleichzeitig die Vermittlung des Gemeinschaftsgefühls ist eine gute Kombination. Das muss aber auch nicht unbedingt immer mit Humor geschehen. Auch Empowerment kann wirkungsvoll sein. Ich habe vorhin Nike erwähnt. Auch dieser Spot war nicht humoristisch, aber verdammt gut. Warum? Er hat eine schöne Geschichte erzählt, denn da ging es um das befähigen.
Storyteller arbeiten oftmals für verschiedene Unternehmen. Würdest du sagen, dass Fachwissen zum beschriebenen Thema wichtig ist, um gutes Storytelling zu betreiben oder geht es eher darum, Grundzüge der Thematik zu verstehen und diese für die Allgemeinheit in verständliche Storys zu verpacken?
Das kommt immer auf die Personas an, die Kundinnen und Kunden definiert haben. Denken wir daran, dass ich mit Kundinnen und Kunden zusammenarbeite, deren Hauptpersona beispielsweise Ingenieurinnen und Ingenieure sind, dann wissen diese in der Regel bereits, wonach sie suchen. Sollte dieser nach Schlagwörtern suchen, ist es für mich wichtig zu wissen, welche Schlüsselbegriffe gesucht werden. Wie ich diese dann verpacke, bleibt mir überlassen und ist dann auch immer abhängig davon, wie stark ich mich im Rahmen der Unternehmenssprache ausleben darf.
Was sind eure Alleinstellungsmerkmale? Was sind Gründe bei euch zu kaufen oder auch nicht? Das sind Fragen, auf die ich eine Antwort benötige, um eine Geschichte zu erzählen. Wie ich es am Ende verpacke und ob ich die Informationen überhaupt benötige, weiß ich zu Beginn nicht. Es ist auch immer hilfreich, sich die Konkurrenz anzuschauen. Gerade wenn die Konkurrenz sehr faktenbasiert ist, können wir durch Storytelling glänzen. Das bedeutet nicht, dass auf Fakten verzichtet werden soll. Aber sie können charmant in eine Geschichte eingebaut werden, da wir uns so die Inhalte auch besser merken.
Unternehmen wollen gute Geschichten, meist entsprechen die Storys jedoch nicht den Erwartungen der Unternehmen. Die Folge: Unzufriedenheit auf beiden Seiten. Was sind Fehlerquellen, die du beim Storytelling identifizieren kannst? Liegt es wirklich am Storyteller oder ggf. an etwas Anderem wie unrealistische oder unterschiedlichen Erwartungen?
Die Kommunikation findet immer auf beiden Seiten statt. Als Dienstleistende haben wir eine enorme Verantwortung, die richtigen Fragen zu stellen und die Erwartungshaltung zu erfassen. Wenn das von vornherein feststeht, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass Kundinnen oder Kunden unzufrieden sind. Denn wenn wir keine Fragen stellen, denkt der Auftraggebende natürlich, dass alles klar ist. Das passiert mir auch ab und zu. Dann sitze ich über dem Text und merke, dass ich vergessen habe, etwas zu fragen. Ganz wichtig: Ich denke nicht, dass die Kundin oder der Kunde vergessen hat, mir etwas zu erzählen. Nein, ich habe vergessen nachzufragen. In diesem Fall ist es wichtig, die Kommunikation aufrechtzuerhalten und nochmal nachzuhaken.
Falls doch Unzufriedenheit vorherrscht, müssen wir uns immer Sender und Empfänger anschauen. Es kann sein, dass auf beiden Seiten alle Informationen geklärt sind. Manchmal muss sich die Frage auch gestellt werden, ob die Person, die den Auftrag ausführen soll das überhaupt kann, basierend auf den eigenen Skills. Wenn dann Unzufriedenheit herrscht, ist es natürlich blöd. Manchmal gibt es aber einfach kein Match. In diesem Fall hat der Dienstleistende eine große Verantwortung von vornherein zu sagen, dass er die Aufgabe nicht durchführen kann. Die Gründe können verschieden sein. Man fühlt das Produkt nicht, es weicht von der normalen Arbeit ab oder man steht nicht hinter dem Produkt.
Während in den USA Storytelling bereits seit langer Zeit die Werbewelt dominiert, stehen wir Deutschen auf Fakten und Informationen zum Produkt. Welche Veränderungen kannst du in der deutschen Werbewelt in Bezug auf die Rolle von Storytelling im Marketingmix feststellen?
In Deutschland ist die Industrie prägend. Seien es Siemens, Bosch oder die Autohersteller: Sie haben die Sprache geprägt, die wir in Spots sprechen. Da das oftmals sehr komplexe Produkte sind, die auch für die Wirtschaft einen maßgeblichen Einfluss hatten, fußt auch die Kommunikation heute noch auf den Sprachbildern, die damals in den Spots erzeugt wurden. Da hat man sich eingebildet, dass alle Funktionen der komplexen Produkte erklärt werden müssen, damit die Menschen sie verstehen. Es kann sein, dass dadurch der Weg zu informationsbezogener Werbung eingeleitet wurde.Die USA haben hingegen eine ganz andere Geschichte. Ist es tatsächlich so, dass man es schafft, vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden? Weiß man nicht. Aber es wurde uns so suggeriert. Die Deutschen sind hingegen pünktlich, ordentlich und korrekt. Dann muss die Werbung auch ordentlich und korrekt sein. Vielleicht ist es das.
Wenn wir auf die Veränderung der deutschen Werbewelt schauen, freue ich mich feststellen zu können, dass Marken aufhören sich so ernst zu nehmen. Sie trauen sich jetzt auch über sich selbst zu lachen und Dinge mit einem Augenzwinkern zu betrachten. Warum freut mich das? Zum einen erlaubt es allen Dienstleisterinnen und Dienstleistern kreativ zu werden. Und zum anderen sollte Werbung, wenn wir diese schon schauen müssen, uns unterhalten. Das gelingt eben am besten mit Humor. Diesen Trend nehme ich wahr und das freut mich.
Wenn du einen Wunsch hättest: Welchen Fehler sollten Storyteller zukünftig vermeiden?
Ich habe manchmal das Gefühl, dass viele kleine und mittelständische Unternehmen oder noch kleinere Unternehmen die Rollenaufteilung im Storytelling nicht richtig machen. Wenn wir im Storytelling der Theorie folgen und das Unternehmen zur Heldenfigur in der Geschichte wird, ist das ein Beinbruch. Es ist wichtig, dass Unternehmen verstehen, dass sie nur für die Lösungsfindung der Probleme der Zielgruppe da sind. Die tatsächliche Heldenfigur, die sich auf die Reise macht, ist immer die Zielgruppe. Das Unternehmen selbst ist immer nur die Stütze, die hilft.
Ich merke immer wieder, dass Unternehmen denken, dass sie die Heldenfigur wären, weil sie das Produkt liefern. Ich bin ja auch schon immer Angestellter und es wird oft missverstanden, dass wir eben nicht erzählen sollen, wie gut wir sind. Es geht doch darum, wie toll die Kundinnen und Kunden sind und wie toll das Produkt die Kunden macht und nicht umgekehrt. Dieser Fehler sollte nicht nachgemacht werden.
Wir müssen verstehen, dass wir die Aufmerksamkeit niemals auf uns, sondern auf das Gegenüber lenken sollten. Das gilt auch für Privatgespräche. Wenn jemand nur über sich spricht, unterhält sich die Person irgendwann mit niemanden mehr, sondern nur noch mit sich selbst. Wenn man das auf die Markenbotschaften überträgt, wiederholt sich das Szenario: Es hört dem Unternehmen keiner mehr zu.
Storytelling für eine Arbeitgebermarke: Welche Rolle werden überzeugende Storytelling-Kampagnen zukünftig für das Image eines Unternehmens spielen?
Wahrscheinlich ist es die wichtigste Rolle. Apple wird da gerne als Beispiel genommen. Als Steve Jobs damals rausgeworfen wurde und zu Pixar Studios gegangen ist und danach wieder zu Apple zurückkehrte, begannen sie Geschichten zu erzählen. Da ging es dann ab. Zu diesem Zeitpunkt ging es nicht mehr darum, in die Breite zu gehen, sondern die Produktpalette zu reduzieren. Damals gab es noch die Business Line und die Konsumenten Line. Da wurde dann Wert daraufgelegt, wie du bist und warum das Produkt für dich geeignet ist.
Daher denke ich, dass Storytelling für das Image unumgänglich ist. Ich weiß ja beispielsweise gar nichts über Nike oder wie diese auf der C-Level-Ebene hinsichtlich der Unternehmenskultur operieren. Aber ich verbinde mit Nike etwas Sympathisches und das gelingt durch Storytelling. Es kann dafür sorgen, dass Dinge, die auch schlecht laufen, im Verborgenen bleiben. Storytelling hat somit eine enorme Power.
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