Reinhold Nawroth spricht fließend IT und daran lässt er auch die Allgemeinheit teilhaben. Als ITsocializer nimmt er die Vermittlerrolle ein und kann so gleich zwei Perspektiven bedienen: die des Anwenders und die des ITlers. IT verstehen, das gelingt uns am besten mit Reinhold. Wir haben ihm in diesem Interview alle unsere Fragen gestellt, um endlich auch die IT zu verstehen.
Seit 25 Jahren arbeitest du in der IT. Was sind deine Key-Learnings, die du aus dieser Zeit mitgenommen hast?
In der IT hat sich nicht so viel getan, wie es aussieht. Viele Technologien, die als sehr neu angepriesen werden, sind im Kern nicht neu. Ein gutes Beispiel hierfür sind Clouds und die Rechenzentren dahinter. Marketing macht immer sehr viel, wodurch altbewährte IT neu wirkt. Abgesehen von der starken Nutzung des Internets und der immer fortschreitenden Entwicklung in der Hardware ist in der IT in 25 Jahren eigentlich nicht so viel passiert.
Demnach waren schon immer viele Dinge vorhanden, sie wirken jetzt nur neu, da sie für jeden verfügbar sind. Denken wir an Webseiten, die Teil der Digitalisierung sind: HTML ist so alt wie das Internet und damit konnten bereits Webseiten erstellt werden, auch wenn diese nicht schön waren. CSS ermöglichte dann im weiteren Verlauf, dass Webseiten schicker aussehen, PHP und Flash unterstützen diese Entwicklung. Irgendwann war der Punkt gekommen, an dem Experten notwendig waren, um Webseiten zu bauen. Jetzt sind wir aber wieder in der Position, in der wir selbst viel tun können. Baukastensysteme wie beispielsweise Wordpress ermöglichen dies. Eine Webseite zu erstellen, ist somit keine Kunst mehr. Auch viele Programme im Bereich Projektmanagement, wo sich früher viel Gedanken über den richtigen Aufbau und eine passende Datenbank gemacht wurde, stellen diese Infrastruktur bereits – Beispiel Trello, Asana und Co.
Letztendlich ist das, was für uns ITler dahintersteckt gleichgeblieben: da sind eine Datenbank, ein Frontend und Dienste als Schnittstellen. Der Unterschied ist, dass es für jeden verfügbar ist und so wirkt es, als ob es neu wäre.
Vom ITler zum ITsocializer: Was bedeutet das genau?
Vom ITler zum ITsocializer klingt wie ein Werdegang. Es ist aber tatsächlich nur ein zusätzlicher Skill. Ich bin nach wie vor ITler. Wichtig zu verstehen ist jedoch, dass IT nicht zum Selbstzweck wird. Ein IT-System ist immer dazu gedacht, dass Menschen damit arbeiten, dass es das Leben und die Arbeit der Menschen vereinfacht. Um den Faktor Mensch kommt man da nicht herum. Das ist, glaube ich, der große Unterschied. In der IT gibt es nicht mehr den klassischen Bezug zur Hardware: Wir bauen Systeme oder Infrastrukturen. Nein, stattdessen bauen wir für Menschen. Ohne den Faktor Mensch zu beachten, würde ein IT-System für die Tonne gebaut werden. Es wird dann nicht gut funktionieren.
Heutzutage kannst du nicht mehr ohne Socializing. Früher war das so: Da wurde IT zum Selbstzweck gebaut. Wer mit der fertigen Software gearbeitet hat und vor allem wie, war nicht im Fokus. Das gibt es heute nicht mehr. Heute ist alles bedarfsorientiert.
IT und Socializing: Wie passt das zusammen?
Nach wie vor sind ITler Menschen, die sich primär dafür entschieden haben, mit Technologien und Systemen zu arbeiten und nicht mit Menschen. Das ist eine ganz bewusste Entscheidung, die ITler treffen. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht kommunikativ sein können. Es ist nur nicht ihr Fokus. Bei mir ist es so, dass ich gerne mit Menschen arbeite, jedoch die Technik dahinter auch mag. Mein Fokus ist einfach ein bisschen verschoben. Um die IT bzw. die Projekte letztlich auch zu Akzeptanz zu führen, wird eine Verbindung zu den Entscheidern und Anwendern benötigt. Wir werden immer mehr Leute brauchen, deren Fokus etwas mehr in die Prozessrichtung geht. So wird der Anwender besser verstanden. Von den anderen gibt es nämlich genug, aber es werden definitiv mehr Socializer benötigt, die trotzdem die Technik dahinter verstehen.
Es ist wichtig, dass jemand die Frage stellt, warum jemand ein Produkt haben möchte und zu welchem Zweck dieses genutzt werden soll. Ist das Produkt nur aufgrund des Markennamens gewünscht oder hat der Kunde wirklich einen Bedarf? Das ist ein Teil des Socializings. Wir verkaufen keine Produkte, sondern eine Beratung. Produkte sind immer schwerer zu verkaufen. Wir haben immer weniger klassische Softwarekaufmodelle. Stattdessen gibt es heute mehrere Softwares, die in Abonnements kommen. Wenn du dann nur derjenige bist, der die Software installiert, verkauft und die Lizenzen verwaltet, wirst du auf kurze oder lange Sicht abgeschafft. Daher müssen wir in die Vermittlerrolle kommen. Ich bin derjenige, der die Technik versteht und diese zum Laufen bringt, und ich kann dich dann ermächtigen, vernünftig mit der Software zu arbeiten. Das ist das Zukunftsbild.
ITler sind heißbegehrt auf dem Arbeitsmarkt. Nur wenige Unternehmen verstehen jedoch, welche Anforderungen ITler an den Arbeitgeber haben. Welche Erwartungshaltung bringt die Zielgruppe mit?
Es gibt immer den Trugschluss, dass es nur um das Geld geht, getreu dem Motto: Bezahl ich ihnen genug, werden sie auch zu mir kommen. Das erlebe ich oft bei Unternehmen. Das ist jedoch nicht der Hauptfaktor. Gerade in der jungen Generation wird das Thema Geld immer unwichtiger. Es geht immer mehr darum, sich im Job erfüllen zu können und da ist Geld nicht mehr entscheidend. Entscheidend ist, ob eine Firma IT-technisch auf einem hohen Niveau ist, mit der Zeit mitgeht und ob sie den ITlern einen coolen Spielplatz liefern kann. Sind die entsprechenden Technologien vorhanden? Kann mit diesen auch gebaut oder administriert werden? Sind sie wirklich State of the Art? Darum geht es mehr und die Hauptmotivation ist somit nicht mehr das Geld, sondern es sind die Technologien, die zur Verfügung stehen.
Du sagtest, dass der Faktor Mensch in der IT der tragende Faktor ist. Was würde das konkret für die Gestaltung der Arbeitsatmosphäre der IT-Abteilung bedeuten in Hinblick auf die Stereotypen der Mitarbeitenden in der IT – die ja als eher introvertiert und wenig kommunikationsfreudig gelten?
Das wichtigste ist das Thema Anerkennung und Wertschätzung. Die IT muss gedanklich raus aus dem Keller. Wir sind eine „eh da“-Abteilung. Es ist aber wichtig dahinzukommen, diese Wertschätzung auch entgegenzubringen. Man hört oftmals die Geschichte, dass viele nicht wissen, was die IT eigentlich macht, da man nichts von der Abteilung hört.
Genau das kann es bereits sein. Wer nichts von der eigenen IT hört, kann davon ausgehen, dass sie wahrscheinlich einen richtig guten Job macht, da niemand bei seiner Arbeit durch technische Probleme gestört wird. Ausnahmen sind Updates.
Raus aus dem Keller, indem sie klischeemäßig drin sind und in diesem Zuge auch raus aus dem Kopf-Keller. Es ist nicht so, dass sie introvertiert sind. Wenn die Tür zu ist, kann es in einer IT-Abteilung sehr lustig sein. Sobald die Tür aber aufgeht und der Anwender im Raum steht, wird es leise. Das hat aber nicht nur etwas mit der IT zu tun. Generell würde ich mir wünschen, dass Menschen in Firmen öfter aufeinanderzugehen, Verständnis für die Arbeit anderer haben und das in alle Richtungen.
Gerade in Zeiten von mehr Cyberangriffen ist es die IT, welche die Arbeit von allen beschützt.
Ohne IT funktionieren viele Prozesse im Unternehmen nicht, denn Daten sind immer das Grundgerüst und diese müssen passend aufbereitet und sicher verwahrt werden. Dennoch verstehen nicht alle Unternehmen, welche Systemrelevanz die IT innerhalb der Organisation hat. Was sind typische Verständnisfehler von Unternehmen gegenüber der IT?
Es ist sinnvoll zu betrachten, wie viel Geld die IT kostet und auf der anderen Seite wiederum schaut, wie viel Umsatz die IT generiert. Wenn wir dann noch im Bereich IT-Security unterwegs sind und Backups oder Ähnliches betrachten, muss überlegt werden, wie viel Geld es kosten würde, wenn die IT nicht da wäre.
Man sollte von dem Denken wegkommen, dass Geld in Backups oder IT-Security-Maßnahmen zu investieren doppelt weh tut. Es ist wie eine Versicherung. Firmen schließen ja auch für andere Dinge Versicherungen ab, vor denen sie sich schützen möchten. Jetzt ist es mit Cyberversicherungen so, dass die zwar das Geld zahlen können, das aber nichts bringt, wenn die Daten verloren bleiben. Der wichtigste Punkt ist daher, dass die Leute vorhanden sind, die sich darum kümmern, dass die Daten nicht verloren gehen. Denn die Daten sind das wichtigste, was ein Unternehmen besitzt.
Das IT-Budget sollte also nicht immer unter dem negativen Deckmantel betrachtet werden, sondern als Versicherung. Wer die ITler outsourcen möchte, sollte zuvor einmal in den Markt reinhören. Das ist nämlich auch nicht das Wahre. Eine IT, die direkt vor Ort ist, ist sehr viel Wert.
Zurzeit steht ITlern die Arbeitswelt offen. Es wird jedoch auch Zeiten geben, in welchen der sich der Arbeitsmarkt verändert und mit ihm die Anforderungen und Profile. Was würdest du sagen, müssen ITler noch lernen, um sich selbst als attraktive Arbeitnehmende zu präsentieren und wo siehst du Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt?
Noch sehe ich eine solche Veränderung überhaupt nicht. Es ist wirklich ein fiktives Szenario. Ich sehe nicht, dass ITler nicht mehr heiß begehrt sind. Je mehr wir über Digitalisierung sprechen, desto mehr ITler werden gesucht. Es ist also ein bisschen so, als würden wir vor einem halb ausgetrockneten Wasserloch stehen und ich soll mir vorstellen, dass es ein prall gefüllter See wäre. Dann würde ich auch sagen, dass wir derzeit eben um das Wasserloch herumstehen und versuchen, einen Schluck abzubekommen.
Die Methoden, mit welchen versucht wird, ITler zu bekommen, sind ja teilweise absurd. Leute direkt aus dem Ausland heraus von Universitäten mit lukrativen Jobs abzuwerben, ist zurzeit Normalität. Solange das so ist, werden sie gar nichts machen müssen. Eine Ausbildung in der IT oder ein IT-Studium werden genügen.
Gehen wir jetzt mal davon aus, es würde doch so kommen und die guten Jobs würden weg sein und es kommt zu einer Art Selektion, dann werden Sachen wie Personal Branding auf einmal wichtig sein. Auch da wird sich etwas tun. Es ist lustig, wenn man das den ITlern heute sagt. Sie lachen dich dann aus.
Genauso ist es mit der IT in Unternehmen. Sie sehen gerade keine Notwendigkeit, etwas in der Richtung zu machen. Die IT-Systemhäuser haben insbesondere im Zuge des Umstiegs auf Homeoffice in der Pandemie so viel zu tun, dass sie sich über Themen wie Branding und Marketingmaßnahmen keine Gedanken machen. Expertise, Ressourcen und die Auffindbarkeit im Internet genügen.
Die Arbeitswelt wird immer digitaler. Welche drei Themen werden zukünftig im Bereich IT am Arbeitsplatz an Relevanz gewinnen?
Wir werden uns auf kurze oder lange Sicht von jeder Art der Telefonanlage verabschieden, was ja gerade in großen Unternehmen noch immer ein großes Thema ist. Da hast du noch so ein Sip-Telefon auf dem Tisch. Die werden verschwinden und gegen ein Software- und App basiertes System ausgetauscht.
Was mehr und mehr verschwinden wird, ist Server Hardware in mittelständigen Unternehmen. Das Kosten- und Nutzenverhältnis wird immer mehr betrachtet. Da kann natürlich immer gesagt werden, dass es im eigenen Rechenzentrum gemacht wird. Den finanziellen und personellen Aufwand, der in ein solches Rechenzentrum gesteckt wird, werden immer größer. In diesem Rahmen werden in der IT auch mehr und mehr die "Schrauber" verschwinden.
Früher hast du für eine Versicherung in der IT-Abteilung gearbeitet und es war klar, dass du als ITler an Hardware geschraubt hast. Das verschwindet. Warum? Es sind beispielsweise immer mehr Notebooks im Einsatz. Früher waren Notebooks ein Privileg, mittlerweile ist es die logische Alternative. An Notebooks wird sowieso nicht mehr viel geschraubt. Wer jetzt sagt, dass er in die IT geht, um Hardware zu schrauben, sollte bei einem Hardwarehersteller oder in einem Rechenzentrum arbeiten, um die Möglichkeit noch zu haben.
Du hast einen Wunsch offen: Welchen einen Fakt sollten zukünftig alle Menschen über die IT wissen?
Mir ist es wichtig, dass den Menschen nicht nur der Nutzen der IT weiter bewusst wird, sondern auch die damit verbundenen Gefahren. Auch, wenn es so wirken mag, dass alles super läuft, ist es so, dass die Gefahr durch Cyber-Security-Attacken immer größer wird. In den Medien wird immer mehr gezeigt, wer gehackt wird und das wird immer unlustiger. Wir sind nicht mehr an dem Punkt, an welchem nur große Konzerne gehackt werden, sondern es werden auch staatliche Organisationen, Krankenhäuser oder Gesundheitssysteme angegriffen. Da nehmen sie keine Rücksicht mehr drauf.
Es ist kein laues Lüftchen, was draußen weht, sondern ein Sturm. Derzeit halten die vernagelten Buden noch, aber das kann auch kippen. Die Investition in das Thema IT-Security ist wichtig, aber auch IT-Security-Awareness.
Bei anderen Gefahrensituationen wissen wir das. Dass elektrischer Strom und der Straßenverkehr gefährlich sind, wird uns früh beigebracht. Wir müssen dahinkommen, dass den Leuten bewusst ist, dass auch der Einsatz von IT gefährlich ist und zwar nicht nur für Unternehmen, sondern auch in den Privatsektor.
Das hat man beim großen Hack auf die Pipeline in den USA gesehen. Das hat dazu geführt, dass die Treibstoffknappheit dort extrem hoch geworden ist, was wiederum zu merkwürdigen Dingen geführt hat. Die Leute haben auf gefährliche Art und Weise versucht, an Treibstoff zu kommen. So etwas kann natürlich auch zu sozialen Unruhen führen. Das Thema IT-Security-Awareness muss also in die Köpfe rein.
Cloud IT-Services setzen sich immer mehr in Unternehmen durch. Worauf sollten Unternehmen bzgl. der IT-Datensicherheit besonders achten und sind Clouds wirklich die perfekte Datenlösung?
Es gibt für die meisten keine echte Alternative zur Cloud. Eine Cloud ist ja erst einmal nur ein Computer von jemand anderen. Wie wir vorher schon gesagt haben: Das heute noch selbst zu betreiben, ist einfach schwierig. Es wird auch schwieriger werden. Je mehr größere Unternehmen sich umstellen, desto schwieriger wird es auch für kleinere Unternehmen zu rechtfertigen, dass alles im eigenen Rechenzentrum gehostet wird.
Das ist der Punkt, an dem gesagt werden kann, dass es keinen Weg mehr an der Cloud vorbei gibt. Dann stellt sich aber die Frage, was Cloud eigentlich bedeutet. Cloud bedeutet nicht zwingend, dass es Microsoft oder Amazon sein muss. Cloud bedeutet auch schon, dass ich meine Unternehmensdaten abgebe und nur noch die Dienste empfange. Das kann auch ein kleiner lokaler Anbieter sein, der mir das mit einem gut positionierten Rechenzentrum und einem vernünftigen Konzept bietet. Den kann ich anrufen und habe ein Gesicht dazu. Auch diese Möglichkeit besteht. Demnach: Cloud ja, aber es müssen nicht unbedingt die großen Player sein. Hier kann gerne mal auf das Bauchgefühl gehört werden. Mir wird auch oft die Frage gestellt, was der beste Cloudspeicher ist. Da sollte sich einfach durchgelesen werden, was diese Anbieter bieten. Gerne auch nachfragen: Wie lange habe ich das Back-up? Ist wirklich alles gesichert? Diese Fragen können gestellt werden und bei den Antworten sollte man sich auch nicht vertrösten lassen. Ohne Expertise kann es auch zur Unsicherheit kommen. Einen IT-Berater mit an den Tisch bringen, der alles erklärt, ist eine gute Idee. Es ist wichtig, dass sich zudem nicht darauf verlassen wird, dass in einer Cloud alles besser ist als in der lokalen IT. Nur weil ich meine Systeme in die Cloud schiebe, bedeutet das nicht, dass sich jemand darum kümmert.