Als Berater im Recruiting ist Jan-Lütje Thoden der Ansprechpartner Nummer eins, wenn es um die Rekrutierung von A-Playern geht. Mit dem gesetzten Fokus auf Start-ups im Funding und eCommerce Bereich setzt er als Founder von Start to Finish auf einen innovativen und dynamischen Arbeitsmarkt. Im Interview fragen wir Jan-Lütje Thoden, wie die Rekrutierung von morgen aussieht und welche Unterschiede zwischen Start-ups und Großkonzernen bestehen.
Für viele Recruiterinnen und Recruiter ist der Lebenslauf eine wichtige Basis bei der Entscheidung für oder gegen einen Bewerbenden. Dein Ansatz ist jedoch ein Prozess OHNE Lebenslauf. Warum denkst du, dass der Lebenslauf ausgedient hat?
Ich glaube nicht, dass der Lebenslauf komplett ausgedient hat, denn es gibt kein richtig oder falsch. Es muss zum jeweiligen Unternehmen passen. Ich persönlich bringe den Lebenslauf erst an späterer Stelle im Bewerbungsprozess ein.
Es gilt jedoch differenziert zu entscheiden: Wenn sich unsere Bewerber direkt über eine Karriereseite oder alternative Kanäle bewerben, müssen diese auch in Vorleistung gehen. In einem klassischen Bewerbungsverfahren finde ich den Lebenslauf also immer gut.
Beim Active Sourcing sollte der Lebenslauf beispielsweise erst später angefordert werden oder wenn wir Personen gezielt mit Paid Ads ansprechen. In diesen Fällen sind wir die Bittsteller. Der Rezipient möchte zunächst nur etwas über die Stelle erfahren. Wenn wir direkt nach dem Lebenslauf fragen würden, wäre das mit Arbeit für denjenigen verbunden, obwohl die Person zunächst nur zuhören möchte. Das passt einfach nicht und führt zu einer Senkung der Conversion.
Gleiches gilt für das Active Sourcing. Hier schreibe ich der Person eine Nachricht und wir führen das erste Gespräch ohne CV. Anschließend bitte ich aber immer um den CV, weil beide Seiten nun das Vorwissen haben und alle Fragen und Informationen im Gespräch behandelt wurden. Wir benötigen dann ein hundertprozentiges Commitment von beiden Seiten, schließlich wollen wir die besten Arbeitgeber sein, aber auch die besten Arbeitnehmer haben.
Wenn wir Facebook Ads nutzen, ist es ein Mittelweg. Hier spielt aber eher die technische Seite eine Rolle. Die Facebook Ads schaut man sich auf dem Smartphone an und darauf haben wir normalerweise keinen CV parat. Es geht jedoch nicht primär um die Generierung von Bewerbern. Sie sollen nur ihr erstes Interesse bekunden, wir treten mit ihnen am nächsten Tag in Verbindung und bitten erst anschließend um den CV. Das sind die Situationen, die wir unterscheiden müssen.
Wo sollte der Fokus bei Bewerbungsgesprächen liegen? Würdest du zustimmen, dass es wichtiger ist, dass die persönlichen Ziele der Kandidaten mit den Zielen des Unternehmens übereinstimmen als der fachliche Fit?
Ich würde sogar noch eine dritte Komponente hinzunehmen. Wir haben einmal die Persönlichkeit, dann haben wir die Qualifikation, aber ich schaue stark auf den Track Record und somit darauf, was die Person sich schon einmal aufgebaut hat. Wenn ich einen Berufseinsteiger habe und sehe, dass er in keinem coolen Unternehmen gearbeitet hat, für sein Bachelor Studium sechs Jahre gebraucht hat, aber er sich einen Podcast mit 150 Folgen aufgebaut hat - dann würde ich den Jungen trotzdem einladen. Er wirkt zwar nicht überragend auf dem CV, aber wer 150 Podcasts aufnimmt, hat Potenzial. Ich schaue daher ganz stark auf bisherige Erfolge bzw. Feuerproben. Welche schwierigen Sachen hat sich die Person bislang selbst aufgebaut? Was genau das ist, ist egal. Wer beispielsweise gut im Sales ist, kann wahrscheinlich auch gut im Recruiting arbeiten.
In Start-ups geht es viel um Zeit. Es gibt Investments und dann muss das Geschäft laufen. Dort schaue ich bei sehr vielen nicht auf die genauen Qualifikationen, aber es muss persönlich passen und Feuerproben müssen durchstanden sein. Wenn das fehlt, kann sich nicht darauf verlassen werden, dass Aufgaben erledigt werden. Leute, die noch nicht viel gemacht haben, stellt man eher im zweiten Schritt ein. Auch sie benötigen Chancen, aber der Track Record ist für mich mit das Wichtigste. Erfolge aus der Vergangenheit sind eigentlich nur ein Beweis für Motivation.
Start-up Strukturen sind meist deutlich agiler als die Strukturen eines etablierten Unternehmens. Welche Vorteile ergeben sich dadurch im Recruiting-Prozess?
Der größte Vorteil ist die Geschwindigkeit. Viele Start-ups und Kunden, für die ich arbeite, stellen in 7 bis 14 Tagen ein. Das bedeutet natürlich auch für die Bewerber, dass sie innerhalb der 14 Tage eine Absage oder einen Vertrag bekommen. Bei mir war es auch so. Ich hatte zwei Jobs in kleinen Unternehmen und zwischen dem Absenden meines CVs und der Zusage lagen sechs Tage. In der Zeit haben sich die anderen noch nicht einmal zurückgemeldet.
Diese Geschwindigkeit ist das Wichtigste überhaupt. Aus dieser geht Wertschätzung hervor und dass man die Person wirklich haben möchte. Es geht auch hervor, dass gute, aber auch simple Prozesse vorhanden sind, dass die Firma gut kommuniziert und schnelle Entscheidungsprozesse fällen kann. All diese Sachen sehen Bewerber als Indizien für die spätere Zusammenarbeit. Wer im Bewerbungsprozess keine Wertschätzung bietet, wird diese auch später als Arbeitgeber einem Mitarbeiter nicht entgegenbringen. Das ist der große Vorteil des agilen Arbeitens. Praktisch bedeutet dies, dass ein Angebot gemacht werden kann, bevor sich die Konkurrenz zurückmeldet.
Ein erfolgreiches Start-up befindet sich in einem ständigen Wachstum und Veränderungen stehen an der Tagesordnung. Was können Start-ups noch besser machen, um passende Talente zu finden und zu halten? – gerade weil die Arbeitnehmenden nicht immer das bieten können, was bei etablierten Unternehmen oft selbstverständlich ist: Sicherheit, definierte Strukturen…
Das Erste, was wir klarstellen sollten, ist das Start-ups nicht versuchen sollten, wie Top Corporates zu sein. Ich habe schon öfter von Start-ups gehört, dass sie Bewerber nicht ansprechen wollten, weil sie nicht das Gleiche bieten können wie ein Top Konzern. Das ist richtig, aber es muss auch geschaut werden, dass die richtigen Leute angesprochen werden. Natürlich hat ein Top Konzern viel mehr Benefits für einen Bewerber als ein Start-up. Es sollte daher auf gar keinen Fall probiert werden es wie die Großkonzerne zu machen.
Als ich angefangen habe in Start-ups zu arbeiten, habe ich sehr viele Analysen zu Start-ups und Bewerbern gemacht. Ich frage jeden Menschen im Bewerbungsgespräch, was dieser wirklich machen möchte und das unabhängig vom Job. Es geht nicht darum, einen Bewerber in einen Job hineinzuzwängen, sondern zu sehen, was der nächstbeste Schritt für diesen ist, um ihn dahinzubringen.
Bei einem Kunden habe ich 20 bis 25 Top Consultants von McKinsey, Boston Consulting und Co. pro Monat interviewt. Ich habe sie gefragt, was sie machen möchten. Eigentlich alle haben geantwortet, dass sie die Früchte ihrer Arbeit sehen möchten, da es in Großkonzernen wirklich lange dauert, bis diese sichtbar sind. Zudem möchten alle an einem Produkt arbeiten, das einen Impact hat. Das waren die zwei großen Sachen und auf diese müssen wir uns im Employer Branding konzentrieren. Wer als Start-up versucht, das mit Benefits zu machen, spricht die falschen Leute an. Wir wollen wirklich die Menschen machen, die arbeiten und ein cooles Produkt aufbauen wollen. Das sind A-Player, die das Start-up tragen.
Wir reden hier also nicht von Team-Events und Firmenwagen. Ich schrecke daher bewusst Leute im Bewerbungsgespräch ab. Wenn ich mit jemanden spreche und nach den Benefits des Start-ups gefragt werde, antworte ich immer, dass wir ein kleines Start-up sind und keine Benefits vorhanden sind. Ich möchte wissen, wie die Leute reagieren. Ich möchte ja auch Menschen rekrutieren, die auf die Zusammenarbeit Lust haben. Start-ups müssen also erkennen, warum die Leute zu ihnen kommen und das sind keine Hygienefaktoren oder Team Events. Die guten Leute kommen, weil sie schnell etwas leisten können, die Früchte ihrer Arbeit sehen und an einem Produkt arbeiten, dass einen großen Impact hat. Dafür kommen die A-Player und darauf muss das Marketing ausgerichtet werden.
Was sind Must-Haves in einem Bewerbungsgespräch und unterscheiden sich diese zwischen Großunternehmen, KMUs, und Start-ups?
Start-ups möchten häufig A-Player haben, die einen guten Background haben, Das lief unter anderem bei erfolgreichen Start-ups wie Zalando in Deutschland. Die ersten 50 Führungskräfte von Zalando kamen von der Beratungsfirma McKinsey. Gleiches gilt für Check24. Die ersten 100 oder 150 Personen sind von Bain, also einer der Top 3 Beratungsfirmen weltweit. Warum? Sie wussten, dass die Leute performen, 80 Stunden arbeiten, Sachen umsetzen und eine Struktur mitbringen, da sie sich kennen und in den gleichen Prozessstrukturen gearbeitet haben. Viele Start-ups wollen diese Namen also auch haben.
In Start-ups ist in einem Bewerbungsgespräch somit besonders wichtig, die Macherkultur in den Vordergrund zu stellen, um die richtigen Leute anzusprechen. Wenn du viel mit den Benefits arbeitest, bekommst du Menschen, die sicherheitsaffin sind und eher in ein Corporate Unternehmen passen. Im Bewerbungsgespräch steht die Macherkultur also im Fokus und gleichzeitig müssen die Leute abgeschreckt werden, die zu dieser nicht passen. Sonst gäbe es in der Zusammenarbeit Komplikationen. Personen, die in Corporates passen, benötigen mehr Zeit zum Arbeiten und das führt zu Konflikten mit den Gründern, die schnelle Prozesse wünschen. Folgend fällt der berühmte Satz, dass es einfach nicht gepasst hat und die Leute verlassen das Unternehmen.
In KMUs ist der Personal-Fit hingegen sehr wichtig. Die Leute haben einen breiten Background - es gibt viele KMUs und somit einen breiten Markt. In Konzernen würde ich die Resilienz im Bewerbungsgespräch in den Vordergrund stellen.
Als selbständiger Consultant baust du mit Unternehmen Recruiting Strategien auf. Die Rekrutierung überlässt du aber den Unternehmen. Ist Recruiting deiner Meinung nach Chefsache oder doch eine Aufgabe für Experten?
Ganz simpel: Ja, ich finde Recruiting ist Chefsache, obwohl ich selbst ein Outsourcer für Recruiting bin. Wenn wir mit unseren Kunden Prozesse aufbauen, muss zwischen Strategie und Marketing unterschieden werden und zwischen den Prozessen sowie dem Branding. Die Administration eines Bewerbungsprozesses sollte auf keinen Fall bei Chefs, Gründern oder Gründerinnen liegen. Dafür sind Personaler super und falls diese nicht vorhanden sind, kann dies eine Office Assistenz übernehmen. Das sind die guten Herzen einer Organisation, die gut strukturiert sind, gerne mit Menschen sprechen und denen die Mitarbeiter am Herzen liegen. Die Gründer sind eher der Motor und die Reifen, aber es gibt häufig eine Person, die das gute Herz ist und genau diese sollte die administrativen Prozesse übernehmen.
Im Marketing und der Strategie kommt es immer etwas auf die Situation an. Das sollte auch von den Gründern kommen. Da bewegen wir uns, indem wir die Prozesse mit ihnen durchspielen, Beratungsdienstleistungen offerieren und vom Org-Chart-Design bis hin zum Interviewprozess unterstützen. Diese Aufgaben sind Expertensache. Dann geht es aber ganz klar um das Marketing sowie den Dampf dahinter und das muss von den Chefs kommen. Je mehr Einsatz die Gründer, die Chefs im Recruiting geben, desto besser läuft es. Alle, die damit nichts zu tun haben wollen, sind im Schnitt auch schlechte Arbeitgeber. Je wichtiger einem Gründer also die eigenen Mitarbeiter sind, desto wichtiger ist ihm auch das Recruiting.
Die Gründer sind also das Face und müssen gute Leute finden, die für sie arbeiten. Das sagt auch Jim Collins. Im Buch „Good to Great“ hat er die 11 besten Unternehmen der Welt analysiert und somit Leute, welche die eigenen Konkurrenten 15x outperformen und das jährlich. Eine der sieben Kriterien, anhand der die Analysen stattfinden, sind die Führungskräfte. In den 11 besten Unternehmen haben immer die besten Führungskräfte die Verantwortung übernommen. Immer da, wo die Gründer alles festhalten wollten, ist das Unternehmen zusammengebrochen – spätestens nach Austritt der Gründer.
Verschiedene moderne Bewerbungsmodelle ermöglichen eine Diversität und Abwechslung in einst starren Bewerbungsstrukturen. Welche positiven Entwicklungen kannst du im Recruiting feststellen? Welche Trends identifizierst du?
Was ich sehe, ist das in den letzten 6 bis 12 Monaten mehr Gründer selbst Headhunting lernen wollen. Wir bekommen immer mehr Nachrichten, in denen Leute mir schreiben, dass sie Headhunting lernen möchten und die A-Player selbst ansprechen wollen. Das finde ich megacool.
Was super klappt, ist der Direktweg über LinkedIn. Ein guter Freund von mir hat über 3000 Mitarbeiter in seinem Unternehmen und seine Führungskräfte über LinkedIn selbst rekrutiert. Das ist simpel und die Ansprache wirkt schon fast platt - aber es funktioniert. Im Employer Branding wirkt es oft so, als möchten sich alle besser darstellen als sie sind. Wenn ein Gründer also eine Nachricht schreibt, die total platt ist, ist das ein Gamechanger. Warum? Weil es anders ist. Selbst der LinkedIn Sales Chef Deutschland wählt diese Methode und hat keine Abteilung dafür. Das ist immer mehr im Kommen ,das finde ich cool, weil es ein ganz normaler Beziehungsaufbau ist.
Wenn wir für die Kunden headhunten, schreiben wir in der ersten Nachricht, wer der Kunde ist. Wir arbeiten auch viel mit Copywriting in den InMails und analysieren hierfür ganz genau, wofür die Firma steht, was die Benefits sind und wie sich die Firma von der Konkurrenz abhebt. Sachen wie Teamevents, tolle Kultur und Obst fliegen hier sofort raus. Stattdessen achten wir auf den Kern und zeigen, wofür das Unternehmen wirklich steht. Zudem analysieren wir die Berufsgruppe. Diese beiden Komponenten kombinieren wir und setzen eine coole Message zusammen. So erreichen wir 51% Response auf InMails in der Erstnachricht.
Zudem beobachte ist, dass alles transparenter wird. Durch Social Media und Kununu kann jeder schnell erkennen, wer ein guter Arbeitgeber ist und wer nicht. Egal, wie die Leute versuchen sich darzustellen, ist schnell herauszufinden, wie es wirklich läuft. Das ist, was ich sehe und gut finde.
Welchen EINEN Tipp würdest du Start-ups geben, um das Recruiting von A-Playern zu optimieren?
Gründer sollten regelmäßig erzählen, was sie machen. Ich habe viele Kunden, die schlechtes Employer Branding machen, aber coole Sachen umsetzen und so gute Bewerbungen erhalten. Das Wichtigste ist also, einen super Job zu machen und das dann überall zu kommunizieren. Auf LinkedIn, in Interviews, Blogs und weiteren Kanälen transparent und regelmäßig über die eigene Arbeit sprechen: Das ist mein Tipp.