Deutschland altert. Und zwar rasant. Bis zum Jahr 2060 soll sich die Zahl der Pflegebedürftigen fast verdoppeln. Doch schon jetzt stoßen Pflegekräfte an ihre Grenzen, weil es landauf, landab an Personal mangelt. Ein Teil des Fachkräftemangels ist jedoch hausgemacht. Viele junge Talente fühlen sich von Jobs in der Pflege einfach nicht angesprochen. Beispiele aus der Paraxis zeigen: Gutes Employer Branding kann das Blatt wenden.
Employer Branding in der Pflege: Es besteht akuter Handlungsbedarf
Kliniken und Altenheimen geht langsam das Personal aus. Laut den Prognosen des Bundesministeriums für Gesundheit sollten Arbeitgeber und Unternehmen schnellstens aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen und etwas für ihre Arbeitgeberattraktivität tun. Ansonsten wird es zu erheblichen Engpässen kommen.
So stieg bereits zwischen 1999 und 2013 die Anzahl pflegebedürftiger Personen auf 2,7 Millionen. Laut Erhebungen des Bundesgesundheitsministeriums könnten bis zum Jahr 2060 noch einmal zwei Millionen dazu kommen. Eine konstant besser werdende medizinische und pflegerische Versorgung lässt Menschen älter und älter werden.
Bedarf an Pflegekräften steigt
Der demographische Wandel betrifft das Pflegepersonal gleich zweifach: Der Bedarf an Pflegekräften wird in den kommenden Jahrzehnten massiv zunehmen. Doch bereits heute klagen Arbeitgeber in dem Bereich über ausbleibende Bewerbungen.
Tut sich nichts, sieht die Zukunft düster aus. Eine Studie des statischen Bundesamtes und des Bundesinstitutes für Berufsbildung führt eine potenzielle Lücke von ausgebildeten Pflegekräften von rund 200.000 Pflegekräften im Jahr 2025 an. Da hilft auch kein klassisches Personalmarketing mehr.
Es sei denn, Arbeitgeber drehen kurzfristig an der Attraktivitätsschraube, damit sich künftig mehr Bewerber von der Arbeit im Pflegebereich angesprochen fühlen. Tatsächlich wären entsprechende Employer Branding-Maßnahmen, also der Aufbau einer attraktiven Arbeitgebermarke, alles andere als ein Tropfen auf den heißen Stein.
Das Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) geht sogar davon aus, dass Arbeitgeber mit dem richtigen Set an Maßnahmen ihr Pflegepersonal so massiv steigern könnten, dass der prognostizierte Fachkräfteengpass quasi spurlos an ihnen vorbei zieht.
Employer Branding in der Pflege: Ein langer, aber lohnender Prozess
Employer Branding ist allerdings ein langer Prozess, der leider allzu häufig einzig und allein mit markanten und originellen Rekrutierungsmethoden gleichgesetzt wird. Doch das greift zu kurz. Damit Krankenhäuser, Behinderten- oder Altenpflegeeinrichtungen Botschaften nach außen tragen können, die positiv auf ihre Employer Brand einzahlen, müssen sie zunächst klären, wie sie sich intern aufstellen müssen, damit sie für ihre Beschäftigten ein wirklich attraktiver Brötchengeber sind.
Ansonsten entpuppen sich auf Hochglanz getrimmte Stellenanzeigen, ein hippes Recruiting-Video oder Karrierewebseiten schnell als schöner Schein. Denn ohne kontinuierliche interne Maßnahmen zur Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit wird ein Arbeitgeber in der Praxis nicht halten können, was er nach außen vollmundig verspricht.
Das kann fatale Folgen haben: Fliegen die Schönfärbereien gegenüber Bewerbern nicht bereits im Vorstellungsgespräch auf, dann doch spätestens in der Probezeit. Hier kann es schnell passieren, dass Arbeitnehmer schnell wieder ihre Koffer packen. Schließlich können sie sich in der derzeitigen Arbeitsmarktsituation ihre Arbeitgeber aussuchen.
Employer Branding in der Pflege: Die richtige Vorgehensweise
Das ist keinesfalls weit hergeholt. Laut einer Studie des Karriereportals indeed brachen schon einmal 42 Prozent der Kandidaten einen Bewerbungsprozess ab, weil er sich nicht so gestaltete, wie sie sich ihn vorgestellt hatten. Doch es kann noch schlimmer kommen. Insbesondere junge Bewerber sind durch die sozialen Medien bestens untereinander vernetzt. Hierüber kann sich der Fake schnell herumsprechen und zu einem nachhaltigen Imageschaden führen.
Employer Branding kann also nur aufgehen, wenn es strategisch angegangen wird. Dabei ist allerdings nicht schönzureden, dass hier gerade der Pflegebereich vor einer besonderen Herausforderung steht. Denn Pflegeberufe gelten unter Bewerbern nicht als sonderlich attraktiv. Die Gründe dafür sind vielschichtig:
- schlechte Bezahlung
- familienunfreundliche Schichtdienste
- hoher Zeitdruck bei der Pflege
- zu geringer Personalschlüssel
- zu viel Bürokratie
Um die Situation im eigenen Haus zu verbessern, wird es jedoch nicht ausreichen, wenn Personalabteilungen ihren Arbeitnehmern einen Maßnahmenkatalog überstülpen, der die allgemein bekannten Probleme an den Wurzeln packt.
Die Analyse
Stattdessen müssen sie exakt eruieren, an welchen Stellen es konkret im Prozess hakt. Sonst ist die Gefahr groß, aneinander vorbei zu agieren und die falschen Ideen umzusetzen.
Der Weg zur besseren Arbeitgebermarke in der Pflege kann daher nur über eine Mitarbeiterbefragung führen – von der Führungsebene bis zum Azubi. Aus dieser können HR-Verantwortliche herauslesen, was sich ihre Mitarbeiter konkret wünschen und brauchen.
Im nächsten Schritt folgt eine Wettbewerbsanalyse:
- Worin unterscheidet man sich von anderen Arbeitgebern im Pflegebereich?
- Wo liegen die eigenen Stärken, wo die Schwächen im Unternehmen?
- Wie effektiv ist das eigene Marketing bzw. Recruiting?
Im nächsten Schritt lassen sich Maßnahmen ableiten, mit denen sich ein Arbeitgeber intern als auch extern vom Wettbewerb abheben kann. Die Frage ist also: Wie können Stärken betont und Schwächen geschwächt werden?
Welche Zufriedenheitsfaktoren sind ausschlaggebend?
Die Attraktivität eines Arbeitgebers im Pflegebereich bemisst sich in der Regel aus einer Mischung aus Faktoren und Themen wie:
- Unternehmens- und Führungskultur
- Karrierechancen
- Work-Life-Balance-Angeboten
- Feedback-Kultur
- Gesundheitsmaßnahmen für Mitarbeiter in einem körperlich herausfordernden Umfeld
- Bezahlung
Die herausgefilterten Zufriedenheits-Faktoren sollten vom Personalmanagement mit den richtigen HR-Tools unterstützt und verbessert werden. Wie das in der Praxis geht, zeigt das Beispiel der Westküstenkliniken in Brunsbüttel und Heide. Hier entfällt ein wesentlicher Teil der Arbeitgeberattraktivität auf die Aus- und Weiterbildung im Haus.
Beispiel aus der Praxis
Das Klinikum Westküsten in Brunsbüttel und Heide hat ein ganzes Bündel von Nofallrettungs-Seminaren für seine unterschiedlich medizinisch-qualifizierten Mitarbeiter geschnürt, das auf die individuellen Kompetenzen der einzelnen Mitarbeiter-Zielgruppen eingeht. Das macht es attraktiv und effektiv zugleich. Die Karriere rückt gegenüber der Sinnhaftigkeit in den Hintergrund.
Für die Entwicklung des umfassenden Fortbildungskonzepts hat sich das Klinikum mehrere Monate genommen. Zeit, die gut investiert war: Bei den Mitarbeitern kommt das Fortbildungskonzept gut an. Nach einem halben Jahr haben rund 57 Prozent aller Mitarbeiter an einer Fortbildung teilgenommen. Ein starkes Mittel zur Mitarbeiterbindung.
Gelungene Außenkommunikation
In der Außenkommunikation mit Bewerbern nutzt das Klinikum die Kunde über die hauseigenen Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten als eines von vielen anderen Argumenten gegenüber potenziellen Bewerbern. Zum Beispiel bemüht sich der Arbeitgeber bei der Arbeitszeitgestaltung auf familiäre Bedürfnisse der Arbeitnehmer einzugehen.
Des weiteren gibt es eine ausgewogene und abwechslungsreiche Kost im hauseigenen Restaurant-Cafe Westblick, einen Lauftreff, die Möglichkeit zur kostenlosen Nutzung des hauseigenen Schwimmbads, kostenlose Grippeimpfungen und, und, und.
Für diese Alleinstellungsmerkmale werben die Westküstenkliniken in großformatig und ansprechend gestalteten Stellenanzeigen. Auch Filmwerbung, Spots im Internet, Plakate und Anzeigen in Fachzeitschriften gehörten bereits zum Portfolio der externen Employer Branding Maßnahmen.
Mit gutem Beispiel geht auch die sehr gut strukturierte Karriereseite des Hauses voran. Um so authentisch wie möglich herüberzukommen, finden sich in dem Portal zum Beispiel ausschließlich Fotos echter Mitarbeiter und gut aufbereitete Informationen über Werte, Karriereplanung, Familie und Beruf und offene Stellen. Wie oft in der Branche führt das Unternehmen eben keine Kommunikation auf XING, Twitter oder LinkedIn. Diese Portale sind für die Pflegebranche aufgrund fehlender Zielgruppen wenig attraktiv. Facebook und Instagram hingegen würden sich durchaus anbieten.
Seit über zehn Jahren laufen die Employer Branding Maßnahmen bereits. Ziel war es, Fachkräften, die Arbeit in einer eher ländlichen Region schmackhaft zu machen. Inzwischen kommen Anfragen aus dem ganzen Bundesgebiet. Operation Nachwuchs geglückt!