Als mittelständische Agentur für Personalmarketing und Employer Branding ist man so einiges gewöhnt. Es kommen täglich E-Mails von Jobbörsen, neuen Recruiting-Tools und halbseriösen Anbietern, die die „ultimative Recruiting-Lösung für jedes Unternehmen“ parat haben. Das gehört alles zum Business und wird mehr oder wenig freundlich beantwortet. Doch es hört irgendwie schon auf, wenn Angebote nachweislich schwachsinnig sind. Sprechen wir doch mal über die Branche.
Um es direkt vorweg zu nehmen und um Sie, den geneigten Leser, nicht zu frustrieren: Nein, ich werde keine Namen nennen. Keine Firma, kein Produkt oder sonst was wird von mir „gebasht“ wie es auf Neudeutsch heißen will. Dieser Beitrag ist etwas allgemeiner zu deuten und spricht ein deutliches Problem der Branche an: Zu viel Blabla und zu wenig wirklich gute Strategien.
Beginnen möchte ich an einem wunderbaren Montag im September. Eigentlich kann ich mich nicht beschweren. Kinder gesund, heute schon viel gelacht und die Agentur läuft gut. Trotzdem gibt es da so einen Augenblick, der an mir haften bleibt, als ich meine Mails öffne und lese „Die ultimative Recruiting-Lösung“.
Klar, so eine Überschrift zieht. Welcher halbwegs vernünftige Fachexperte würde die Mail ungelesen löschen? Ich nicht, denn manchmal ist unter den vielen Spam-Mails auch mal ein Goldschatz vergraben. In dem Fall bin ich aber erstaunt. Ein Unternehmen aus einem größeren Bundesland bietet eine Mobile Recruiting Lösung für alle (ich würde das gern mehrfach unterstreichen!) Branchen und Personalebenen an. Mit einem garantierten Leistungsversprechen. Jeder qualifizierte Bewerber nur 3 Euro. Egal wie viele Bewerber man braucht. Egal wo. Egal welches Fachgebiet.
Von tollen Angeboten und undurchsichtigen Tools
Ich muss die Mail zweimal lesen, um zu begreifen, was damit gemeint ist. In meinem Kopf gehe ich durch, wie viele IT-Positionen wir in den letzten Jahren beispielsweise besetzen mussten und wie wenig qualifizierte Bewerbungen man dafür heutzutage noch generiert. Ein super Deal. Ruf ich doch mal an und lass mir das genau erklären. (Hier erlaube ich mir eine Anmerkung, dass ich nicht dämlich bin. Mir ist bewusst, dass das nicht funktioniert und eigentlich ist mir meine Zeit etwas zu schade dafür. Aber naja, der wunderbare September halt.)
Am Telefon meldet sich eine Kundenberaterin, welche mir das Konzept erklärt. Ich muss ein Package buchen. Bestehend aus mindestens 1.000 Bewerbungen. Die Bewerbungen werden dann über das „hauseigene Matching-System“ generiert und direkt zum Kunden übermittelt. Auf Nachfrage, wie diese Zaubermaschine denn genau funktioniert, gab es ein paar unklare Antworten in Richtung „Social Talent Sourcing“ und „Influencer Campaigning.“ Ich möchte gern durch den Hörer greifen und bei meiner Gesprächspartnerin auflegen. Das klang, als hätte im Hintergrund jemand das Buzzword-Glücksrad gedreht und die arme Frau musste nun irgendwelche Sachen vorlesen.
Schnell war der Zauber auch enttarnt. Die Firma kauft über große Kontingente Stellenanzeigen bei den eher leistungsschwachen Job-Portalen ein und bewirbt diese dann mit Social Ads. Tada. Ich glaube so etwas hat Henner Knabenreich schon 1998 gemacht. Nur halt in gut. 😉
Nun bin ich wieder bei Ihnen, lieber Leser. Eigentlich könnte es mir doch egal sein, richtig? Eigentlich ist es Zeitverschwendung sich mit solchen Sachen auseinanderzusetzen. Ich werde das System nicht ändern.
Ich sage: nein, es ist nicht egal. Denn am anderen Ende sitzen nun mal nicht immer Fachexperten mit jahrzehntelanger Erfahrung. Es sitzen oft Personalreferenten, die sich so umfassend gar nicht auskennen können und auf solche Bauernfänger-Tricks reinfallen. Denn nicht alle Anbieter stellen sich so doof an. Die Konsequenz für alle seriösen Dienstleister ist schnell klar: Ein anschließendes Abwatschen der gesamten Branchen, wenn solche Versprechungen nicht ansatzweise eingehalten werden können.
Mein Standpunkt
Mir geht es also um viel mehr. Personalmarketing und auch Employer Branding definieren sich in meinen Augen zu wenig über wirkliche Erfolge. Schön, schick und fancy stehen oft im Vordergrund. Damit Sie, liebe Leser, das nicht falsch verstehen: Ich bin kein technikfeindlicher Print-Anzeigen-Prediger. Ich probiere so gut wie alle neuen Tools aus und beziehe erfolgreiche Maßnahmen sehr gern in Kampagnen mit ein. Das macht den Reiz am Thema aus: neue Wege entdecken und damit etwas besser und effektiver zu sein, als es der Mitbewerber des Kunden ist.
Ich plädiere viel mehr dazu, dass die Branche sich klar für seriöse Dienstleister und transparente Geschäftsmodelle ausspricht. Ich spreche mich auch klar dafür aus, dass Kunden offen dargestellt wird, dass manche Zielsetzungen einfach unrealistisch sind, statt zu nicken und den Umsatz mitzunehmen. Es würde der Branche enorm helfen, wenn mehr Mut für neue Wege da wäre statt Angst vor dem Fehler. Und es würde uns fachlich weiterbringen, wenn wir nicht nach Provisionen beraten, sondern nach Wirksamkeit.
Möglich ist das aber nur, wenn auch die großen Agenturen mitarbeiten. Es wird nur dann umsetzbar, wenn die Kunden klare Kennzahlen und Erfolgsmessungen fordern. Für uns als Agentur wird dieser Weg auf jeden Fall die Zukunft sein. In dem Sinne schließe ich dieses Schreiben und freue mich auf den Austausch. *drops mic*