Dass Employer Branding in manchen Fällen nicht allein die Angelegenheit eines Arbeitgebers ist, zeigt die Einführung des neuen Pflegeberufegesetzes 2020, das ab 1. Januar des kommenden Jahres gilt. Es regelt die bisherige Pflegeausbildung neu. Nicht nur die Inhalte der Ausbildung sollen moderner werden, auch die Arbeitsbedingungen in der Pflege sollen attraktiver werden. Der Gesetzgeber will Arbeitgeber im Pflegebereich damit gezielt unterstützen, das schlechte Image von Pflegeberufen aufzupolieren. Ob die Idee aufgeht?
Arbeitgeber haben bei der Anwerbung von Talenten mit einem schlechten Image zu kämpfen, für das sie in großen Teilen nicht selbst verantwortlich sind, sondern der Gesetzgeber. Er legt in seinen Gesetzen zum Beispiel den Rahmen für die Arbeitsbedingungen, das Gehalt und die Ausbildungsinhalte während und nach der Lehre fest. Und all das kommt nicht gut weg. Angehende und etablierte Fachkräfte in der Pflege gelten als unterbezahlt und überdurchschnittlich belastet. Das hat den jeweiligen Berufsprofilen in den letzten Jahren keinen wirklichen Zulauf beschert. Im Gegenteil.
In dem Report „Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich“ konstatiert die Bundesagentur für Arbeit jedenfalls folgendes: „Im 10-Jahres-Vergleich hat sich die Zahl der gemeldeten Stellen für Pflegekräfte mehr als verdoppelt. In der Altenpflege ist sie sogar um nahezu das 2,5-fache gestiegen, in der Krankenpflege hat sie sich knapp verdoppelt.“ In der Pflege herrscht also bereits heute ein ausgemachter Fachkräftemangel.
Bedarf an gut ausgebildeten Pflegekräften steigt
Tendenz weiter steigend. Denn der Bedarf an gut ausgebildeten Pflegekräften wird sich in den nächsten Jahrzehnten vervielfachen. Dank einer verbesserten medizinischen Versorgung werden Männer und Frauen immer älter. Dadurch wird auf lange Sicht auch die Zahl an pflegebedürftigen Personen groß und größer.
Ändert sich nichts, zeichnet sich ein dramatischer Pflegeengpass ab. Dieser lässt sich nur auflösen, wenn die Attraktivität der Pflegeberufe gesteigert werden kann. Künftig müssen sich mehr junge Menschen dazu entscheiden, eine Ausbildung zur Pflegekraft zu absolvieren – ansonsten droht der Kollaps im Pflegebereich. Genau darauf zielt das Pflegeberufegesetz 2020 ab. 13.000 neue Pflegestellen sollen mit dem Pflegepersonalstärkungsgesetz geschaffen werden.
Allein Stellen zu schaffen, löse das Problem aber nicht, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bei der Bundestagsdebatte zur Beschlussfindung des Gesetzes. „Die Stellen müssen auch besetzt werden. Da geht es um die Attraktivität des Pflegeberufs. Die Ausbildung für einen solchen Beruf, also Fragen, wie die Ausbildung angelegt ist und welche Perspektiven sie für den weiteren Weg bietet, sind ein ganz wichtiger Baustein“, so Spahn. „Deswegen ist es gut, dass wir mit der Verordnung, die heute hier beschlossen werden soll, die Einzelheiten - auf diese warten alle, damit es zum 1. Januar 2020 mit der einheitlichen Pflegeberufsausbildung losgehen kann - eines gut qualifizierten, Perspektive bietenden Pflegeberufs für die berufliche und die hochschulische Ausbildung festlegen. (…) Das ist ein starkes Signal für die Pflege und die Pflegekräfte in Deutschland.“
Pflegeberufegesetz: Die Inhalte
Und was heißt das jetzt konkret? Was ändert sich durch das Pflegeberufegesetz 2020 für angehende Azubis und Lehrlinge im Pflegebereich? Das Pflegeberufegesetz 2020 reformiert die gesamte Berufsausbildung aller bisherigen Pflegeberufe und führt die Ausbildungen in der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege zusammen.
Dafür wird die dreijährige Lehre zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann neu eingeführt. Die Ausbildung ist generalistisch angelegt: In der Lehre soll angehenden Pflegefachkräften das nötige Fachwissen vermittelt werden, das für die Pflege von Menschen jeden Alters relevant ist. Das soll die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Pflegebereichen erhöhen und das System flexibler machen.
Attraktivität des Berufs gegenüber angehenden Azubis steigern
Darüber hinaus sieht das Pflegeberufegesetz 2020 gezielte Maßnahmen vor, die die Attraktivität des Berufs bereits in der Lehre steigern sollen. Zum Beispiel soll bei der Auswahl der Lehrlinge darauf geachtet werden, dass diese in der Region eine Anstellung finden, in der sie verwurzelt sind.
Gleichzeitig winkt das neue Berufsbild mit spannenden Karriere-, Spezialisierungs- und Aufstiegschancen. In der Ausbildung können sich angehende Pflegefachleute neben dem allgemeinen Berufsabschluss auch für eine Spezialisierung auf die Bereiche Altenpflege oder Kinderkrankenpflege entscheiden. Wollen Lehrlinge innerhalb des dritten Ausbildungsjahres diesen Schritt gehen, arbeiten sie nach der Ausbildung als Altenpfleger oder Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger.
Doch das ist bei weitem nicht das einzige, was sich mit dem neuen Pflegeberufegesetz 2020 ändern soll. Geplant ist außerdem, ein ergänzendes Pflegestudium einzuführen, das im Anschluss an die Ausbildung absolviert werden kann. Dieser akademische Abschluss eröffnet Jobanwärtern spannende Chancen auf eine Fach- oder Führungslaufbahn innerhalb der Pflege.
Lernen auf höchstem Niveau und neue Vergütungsregelungen
Damit das Lernen leichter von der Hand geht, sollen die Lehrmittel der Pflegeschulen in den kommenden Jahren außerdem modernisiert werden. Das soll nicht nur die inhaltliche Qualität der Ausbildung verbessern, sondern auch die Motivation der Azubis erhöhen, die dann mit neuesten Apparaturen und unter hochmodernen Bedingungen lernen können.
Auch in puncto Vergütung wird manches anders. Der Hintergrund: Die Ausbildung zur Pflegekraft ist nicht wie in anderen Berufen dual, sondern schulisch geregelt. Das macht bei der Vergütung einen immensen Unterschied. Währen Azubis innerhalb einer dualen Lehre nämlich einen regulären Lohn beziehen, müssen Auszubildende für den Besuch einer Pflegeschule bislang Schulgeld zahlen. Ein Gehalt bekommen sie nicht.
Das ändert sich mit dem neuen Pflegeberufegesetz ab 2020. Ab Januar müssen angehende Pflegekräfte kein Schuldgeld mehr berappen und erhalten wie andere Lehrlinge eine Ausbildungsvergütung. Das dürfte so manche finanzielle Sorge während der Ausbildung lösen und mehr Jobanwärter überzeugen, sich für den Beruf zu entscheiden.
Aufwertung der Pflege? Lob und Tadel!
Mit diesem umfassenden Maßnahmenkatalog soll der Bereich der Pflege aufgewertet werden und Pflegekräften ab dem ersten Arbeitstag mehr Anerkennung und Wertschätzung vermittelt werden. Der Bundestag hat das Gesetz bereits im Jahr 2017 beschlossen. Der erste Ausbildungsjahrgang beginnt 2020. Der Gesetzgeber wollte Pflegeschulen und Ausbildungsbetrieben mit dieser Übergangsphase genug Zeit bieten, sich auf die neue Ausbildungssituation einzustellen.
Das Pflegeberufegesetz 2020 ist zwar auf die Verbesserung des Images des Pflegebereichs ausgerichtet. Dennoch gibt es auch kritische Stimmen. Sie beziehen sich zum Beispiel auf die Generalisierung der Ausbildung. So befürchtet der Deutsche Pflegerat laut des Portals Häusliche Pflege eine "Abwertung der Altenpflegeausbildung, die sich in den Kompetenzbeschreibungen zeigt".
Seine Kritik: „Altenpfleger könnten keine sogenannten Vorbehaltstätigkeiten ausüben und in der Folge nur an der Seite einer Pflegefachkraft arbeiten. Dies werde nicht zur Steigerung der Attraktivität des Berufs führen und auch nicht zu einer besseren Bezahlung.“ Lob für das Gesetz kommt derweil aus den kirchlichen Lagern. Caritas und Diakonie befürworten das Pflegeberufegesetz laut des zitierten Portals sehr und bewerten es im Gegensatz zum Deutsche Pflegerat als "wesentlichen Beitrag zu einer zukunftsfähigen und qualitativ hochwertigen Pflegeausbildung".
Das unterschiedlich geprägte Stimmungsbild zeigt: Die Lager sind gespalten. Ob die Auswirkungen des Pflegeberufegesetzes für Auszubildende so positiv wie von Bundesgesundheitsminister Spahn erhofft ausfallen, wird sich erst in einiger Zeit zeigen. Fest steht aber schon heute: Bliebe alles beim Alten, wären die negativen Folgen des Fachkräftemangels in den nächsten Jahren flächendeckend spürbar. Dann müsste im schlimmsten Fall erst recht auf Pflegepersonal mit einer nicht ausreichenden Qualifizierung zurückgegriffen werden und die Qualität der Pflege würde bundesweit im Sturzflug sinken. Insofern gilt mindestens: Das Pflegeberufegesetz 2020 ist besser als nichts.